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Samstag, 23. Februar 2013

DQ & SP Detailkritik (2)

Lesen Sie heute, was Jens Jürgen Korff zum ersten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!

Der Inhalt in Kurzfassung:
JJK's Kommentare:

1. (eigentlich 2.) Kapitel: Wo kommen wir her?


Warum ist nicht Nichts?


45: Die Philosophie hat gar nichts gebaut? Hier vermisse ich ganz schrecklich Kunst, Musik, Literatur. Die haben ganz viel gebaut. Diese verdammten Techniker sollen sich nicht einbilden, sie wären die einzigen, die etwas bauen.



DQ meint, jede Wirkung (etwa die Existenz von etwas) habe eine Ursache. Und wenn nicht? Ist das nicht eine Täuschung, der wir Menschen erliegen, weil wir so stark auf Ursachen fixiert sind? Was ist mit dem Zufall? Hat der eine Ursache?



46: Herrlich selbstironisch, das Zitat von Augustinus! Kommt in meinen Zitatenschatz.

Zitat Augustinus: Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schuf? Er bereitete die Hölle vor für jene, die solche Fragen stellen.

Augustinus erkannte, dass wir uns mit dieser Frage selbst in den Wahnsinn treiben können. Wir müssen also akzeptieren, dass wir mit unserem Denken nicht vor den Anfang der Welt zurückkönnen, deren Teil wir sind. Damit ist die Ausgangsfrage eigentlich beantwortet: Es gibt kein Warum. Die Welt existiert nun einmal; das ist ein Axiom unseres Denkens. Es hat keinen Sinn und ist Zeitverschwendung, über ein Warum nachzudenken.



47: Der Kosmos ist 13,7 Mrd. Jahre alt und 13,7 Mrd. Lichtjahre groß. Bedeutet das, dass er sich mit Lichtgeschwindigkeit ausgedehnt hat? Und bedeutet das, dass wir die entferntesten Lichtquellen in dem Zustand sehen, den sie zur Zeit des Urknalls hatten? Wenn ja – wie kann man dann von einem homogenen Kosmos ausgehen? Wir können ja gar nicht sehen, wie er jetzt weiter draußen aussieht. Und wenn ja – was sagen uns diese Informationen über den Urknall?




Sieben Tage


50: Die Herkunft des irdischen Wassers und des Lebens sind physikalisch nicht geklärt. Interessant! Könnte es sein, dass es sich hier um einmalige, nicht reproduzierbare, vielleicht zufällige Ereignisse handelte (ähnlich wie beim Urknall selbst)? Dass hier also das Konzept der Naturgesetze die Physiker eher in die Irre führt?



Das mit der Photosynthese ist ein bisschen kurz gegriffen. Die Photosynthese ist die chemische Grundlage der Assimilation von Nährstoffen und damit des gesamten Stoffwechsels der Lebewesen (von wenigen Ausnahmen abgesehen wie den Schwefelbakterien).



51: Desillusionierend? Hier kann ich DQ nicht folgen.



52: Ach, die Bibelbezüge sind ja interessant!

Und dann kommt SP auf das Eingemachte: lógos, die Naturgesetze! Ich als Don Quijote de la Rhenania-Westphalia wage den Einwand: Die Naturgesetze werden überschätzt. Sie dienen vor allem den Physikern dazu, ihre Deutungshoheit zu verteidigen. Schon in der Biologie überwiegen, wie Ernst Mayr ausgeführt hat, die historisch einmaligen Ereignisse, die Sonderfälle. Es gibt praktisch nur noch Ausnahmen – vielleicht, weil das Leben selbst als Ausnahmezustand entstanden ist. Ein Beispiel liefert Sancho selbst auf S. 53: das zufällig entstandene Sprachgen.

Biologie ist Naturgeschichte – eine historische Wissenschaft.



53/54: Spannend, der Streit zwischen Protagoras und Platon. Den könnte man glatt in die heutige Zeit versetzen.



55: Das „Ich“ im Kernspintomographen: Die Neurologen sind ja tatsächlich auf dem Wege, uns weismachen zu wollen, dass das Ich nicht existiert. Dabei weiß jeder Nicht-Schizophrene, dass es existiert.[1]



Wir sind Kausalitätssuchsysteme. Wie wahr! Und deshalb ist Skepsis geboten, wenn Menschen behaupten, alles habe eine Ursache. (Die beiden werden noch darauf zu sprechen kommen, hoffe ich.)

Dass uns der Satz „Ich weiß es nicht“ in existenzielle Ängste stürzt, ist m. W. ein historisch sehr neuer Umstand. Früher waren wir näher an Sokrates’ Weisheit dran. Vielleicht lehren uns die Plurale, da wieder hinzufinden. Jedenfalls sehe ich da keine anthropologische Konstante.



Wir können nicht wissen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein? Doch, manche Menschen können das. Ich selbst kann mich z. B. gut in Fische hineinversetzen und habe eine Vorstellung davon, wie es ist, mit „meinem“ Seitenlinienorgan die Strömung wahrzunehmen. Das geht schon – mit Beobachten, Detailwissen, Intuition und ein bisschen Mystik. (DQ, geben Sie Intuitionsfreiheit!)



56: Ah, hier verrät sich Sancho Beetz: „Hier sind den Naturwissenschaften offenbar grundsätzliche Grenzen gesetzt...“ Ja, den Naturwissenschaften! Nicht aber der Psychologie. Die kann m. W. durchaus erklären, wie Erleben zustande kommt. Es wird Zeit, Sanchos wissenschaftlichen Horizont zu erweitern.



DQ: Wir sind „Beobachter“. Sehr geistreich gedeutet!

Dass unsere Meinungen uns bereit machen, Mitmenschen zu töten, ist allerdings eine Verleumdung und, so weit ich weiß, eine historische Fehlinterpretation. Mindestens 99% der Menschen haben zwar Meinungen, aber noch nie einen Mitmenschen umgebracht. Und da, wo es doch geschah, ging es in aller Regel nicht um Meinungen, sondern um Macht oder Geld, also um Interessenkonflikte. Das hat auch Al-Qaida nicht geändert.

DQs Einwände gegen Evolutionismus und Ethnozentrismus zeigen, dass er ein paar Lektionen der Plurale verstanden hat. Hier dürften mit die größten Verdienste des „neuen Denkens“ liegen.



59: SPs überhebliche Worte über die Philosophen sind ebenso unbedacht wie DQs resignative Antwort. Die Philosophen hätten keine Alleinstellungsmerkmale des Menschen gefunden? Und was war das gerade mit dem Beobachter? Auch die von Sancho selbst erwähnte soziokulturelle Evolution gehört hierhin, die die Kulturwissenschaftler, die Historiker usw. erforscht haben. Dass man da beim Interpretieren Vorsicht walten lassen muss, ist kein Grund, die Tatsache an sich zu leugnen. Deshalb stimmt das Bild mit dem schrumpfenden Terrain nicht. Das hätten die Neurologen und Genetiker so gern! Kriegen sie aber nicht.

Denn die kulturelle Evolution hat philosophische Weiterungen. Im Verlauf dieser Evolution haben die Menschen einen Raum geschaffen, in dem sich Gedanken gewissermaßen transmateriell, losgelöst von den Neuronen einzelner Menschen, weiterentwickeln können. Na, wenn das kein philosophischer Raum ist, der die alte Streitfrage Idealismus-Materialismus neu aufrollt!

Übrigens führt uns die Plurale dazu, die Ausgangsfrage in Frage zu stellen. Wozu überhaupt ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen? So wie wir mit dem Unfug aufhören, nach Alleinstellungsmerkmalen der Europäer zu suchen, die „uns“ von den „anderen“ in Afrika, Asien usw. unterscheiden, so können wir auch mit dem Unfug aufhören, uns krampfhaft von den Tieren absetzen zu wollen. Das heißt aber nicht: der philosophische Raum verschwindet, sondern im Gegenteil: Er wird größer, weil die Tiere dazukommen. So ähnlich sieht das auch Richard David Precht.[2]



Evolution: Zufall oder Notwendigkeit?


Der Dodo, der ausgestorben ist: Hunderttausende von Arten sind im Verlauf der Evolution ausgestorben. Es lohnt sich, da eine Weile drüber nachzudenken. Die Evolution verlief eben überhaupt nicht zielgerichtet, auch nicht gesetzmäßig. Sie verlief ziemlich chaotisch, war geprägt von Zufällen, einmaligen Ereignissen und Irrwegen. Wenn jetzt vieles perfekt erscheint, liegt das an zahllosen Versuchen und Irrtümern der Natur, die dem vorausgingen.



DQ meint, der Dodo sei „unserem Unverstand zum Opfer gefallen“. Ob er jemals wird denken können, dass er vielleicht eher unserem Verstand zum Opfer gefallen ist? Es war doch unser Verstand, der uns gesagt hat: Der Vogel da ist groß und nahrhaft und kann nicht fliegen. Eine leichte Beute!



60: DQs Spruch von der Explosion in der Druckerei ist eine schöne Formulierung des Dogmas: Evolution kann nicht sein. Mal sehen, wie gut Sancho kontert!

Ja, Evolution wirkt kumulativ; das ist ein wichtiger Gedanke.

Ja, noch wichtiger: Der Zufall bestimmt nicht die Ergebnisse der Evolution, sondern nur ihren Verlauf. Die Ergebnisse werden davon bestimmt, welche Eigenschaften den Lebewesen die besten Überlebens- und Fortpflanzungschancen verschafft haben. Wir sehen sie immer erst von hinten: Wenn Vögel, die besser fliegen können, eher überleben und sich demzufolge stärker fortpflanzen, sind eben nach ein paar Generationen fast nur noch diese Vögel übrig. Das ist das ganze Geheimnis. Von „Gesetzmäßigkeit“ zu sprechen, halte ich (mit Ernst Mayr[3]) für problematisch, da die Evolution aus lauter einmaligen historischen Entwicklungen besteht. Es gibt kein Gesetz, nach dem sich Säugetiere gegenüber Reptilien durchsetzen; sondern dies ist in einer einmaligen erdgeschichtlichen Situation so verlaufen, weil in dieser Situation die Säugetiere bessere Chancen hatten.



61: Hört, hört, hier gibt's Sancho zu: Aber ich bin kein Biologe… Tut die ganze Zeit so, als sei er »die Wissenschaft«, und dann ist er noch nicht mal Biologe!

Evolution ist 99 Prozent Gesetzmäßigkeit? Eher nicht. Besser erscheint mir das Bild: sie ist 99 Prozent Kunstgeschichte. Die Arten und ihre Eigenschaften haben sich ganz ähnlich entwickelt wie Kunstwerke und Epochen der Kunstgeschichte. Der Vergleich mit Wissenschaft und Technik trifft es schlechter, weil deren Entwicklung zu zielgerichtet verläuft, zu stark von äußeren Interessen gesteuert wird.



62: Nein, das Prinzip Auge sind nicht lichtempfindliche Sinneszellen. Das wäre zu kurz, denn es ist ja am Ende ein Apparat herausgekommen, der optische Abbilder der Umwelt erzeugt und ins Gehirn einschleust. Diese Entwicklung war in den lichtempfindlichen Zellen nicht angelegt. Hoimar von Ditfurth hat das in dem Buch »Der Geist fiel nicht vom Himmel« mal ganz gut erklärt. Die Hornhaut zum Beispiel ist nicht als optisches Gerät entstanden, sondern als Schutzhaut. Ditfurths Fazit war: Zuerst entstanden Werkzeuge, die zufällig neue Eigenschaften hatten, und dann erst entstand das Verhalten oder gewissemaßen der Bedarf, der die neuen Möglichkeiten ausgenutzt hat.



Darwins Prinzip und die Intelligenz: Wieso? Stimmt doch! Süße Blondinen und Schwarzenegger-Typen haben bessere Reproduktionsraten als Don-Quijote-Typen.



Wir werden zwar wohl bald wissen, wie das Leben entstanden ist, aber dass wir es im Labor nachvollziehen können, glaube ich eher nicht.



Fortsetzung folgt.

Jens Jürgen Korff
August 2012


[1]     Dazu Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? München 2007. S. 62-73 (Wien. Die Mach-Erfahrung: Wer ist »Ich«?)
[2]     Precht, S. 209-230 (Jenseits von Wurst und Käse: Dürfen wir Tiere essen? / Der Affe im Kulturwald: Wie sollen wir mit Menschenaffen umgehen?)
[3]     Das ist Biologie. 1997/2000


1 Kommentar:

  1. Zur Erläuterung: Als "die Plurale" bezeichne ich hier die sonst meist "Postmoderne" genannte kulturhistorische Epoche etwa seit 1970, deren typisches Kennzeichen die Pluralität der Weltanschauungen ist.

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