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Freitag, 1. März 2013

DQ & SP Detailkritik (3)



Lesen Sie heute, was Jens Jürgen Korff zum zweiten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!

Der Inhalt in Kurzfassung: 





JJK's Kommentare:



Zum 2. Kapitel: Die gemeinsame Basis – die Logik


64: DQ fragt: Warum gibt es nicht nichts? Wieso gibt es Gravitation? Woher kommen die Gesetze der Natur? – Mich interessiert eigentlich mehr: Woher kommt die Gewalt? Warum gibt es Musik?
SP: »Natur und Logik sind eins, irgendwie.« – Das erscheint mir anders. Die Natur enthält eine Menge Zufall, und Zufall entzieht sich der Logik. Ein wesentlicher Bestandteil der Natur kommt in der Logik also nicht vor.
DQ stellt dann die wichtige Frage: Folgen die Naturgesetze den vorgegebenen Gesetzen der Logik oder ist es umgekehrt: haben wir die Logik durch Beobachtung der Naturgesetze gebildet? Kopiert unsere Logik also etwas, das wir in der Natur beobachtet haben? Diese Frage bleibt am Ende m. E. unbeantwortet. Sanchos Beispiel mit dem Ziegelstein auf den schrägen Brett überzeugt mich nicht.
65: Zum Ziegelstein: Ich vermute, dass es in der Natur genauso widersprüchlich ist wie hier beschrieben: der Stein ruckt beim Runterrutschen. Er reißt sich immer wieder los und kommt dann wieder kurz zum Halt. Wenn wir das als unlogisch empfinden, zeigt das Beispiel eher, dass unsere logischen Sätze die Natur offenbar nur unvollkommen abbilden.

65f: Auch Sanchos Beispiel mit der Soziologiestudentin Linda überzeugt mich nicht. Die Rechnung mit den Wahrscheinlichkeiten würde nur dann stimmen, wenn die beiden Wahrscheinlichkeiten unabhängig voneinander wären (wie Sancho richtig bemerkt). Sind sie aber nicht! Es kann tatsächlich sein, dass sie in der Umweltgruppe aktiv wird, weil sie den Bankjob angenommen hatte; damit ihre umweltsoziologischen Fähigkeiten nicht völlig verkümmern und weiterhin ihren Sinn haben, und weil sie wegen ihrer Banktätigkeiten ein schlechtes Gewissen gegenüber der Umwelt hat. Übrigens ist die Fragestellung an sich schon unseriös, da eine Alternative aufgestellt wird, die gar keine ist. Die erste Möglichkeit schließt die zweite mit ein. Eine Alternative wäre es nur dann, wenn mit Punkt 1 die Bedingung verknüpft ist, dass Linda nicht in einer Umweltorganisation aktiv wird. Dann sind aber beide Möglichkeiten durch jeweils eine Zusatzbedingung eingeschränkt. Der Autor hat hier seinen Lesern m. E. eine logische Falle gestellt.
Nebenbei zeigt das Beispiel noch etwas ganz anderes: nämlich wie stark die Entwicklung der Wissenschaften durch herrschende soziale Verhältnisse beeinträchtigt oder beeinflusst wird. Weil die herrschenden Konzerne für Umweltsoziologie kein Geld ausgeben, bleiben die von der Soziologiestudentin aufgeworfenen Forschungsprobleme unerforscht. Stattdessen wird ihr kreatives Potenzial von einer Tätigkeit in Anspruch genommen, die wahrscheinlich nur einer Handvoll Aktionären nützlich ist. Das hätte Don Quijote an dieser Stelle auffallen können.
69: Der Wunderheiler schwenkt sicher kein Federbüschel, sondern ein Pendel ;-). Vollmond kann durchaus eine Zunahme der Geburtenrate bewirken – allerdings mit neun Monaten Verzögerung ;-) – Sanchos Erklärung des Placeboeffekts ist, wie nicht anders zu erwarten, einseitig und unvollständig. Es kann zum Beispiel sein, dass der Wunderheiler mit seinem Pendel den Patienten auf positive Gedanken bringt; er bringt ihn dazu, nicht mehr zu denken: „ich bin krank“, sondern zu denken: „ich werde gesund“. Dieses Umdenken stärkt sein Immunsystem und führt dann tatsächlich zur Heilung. Der Wunderheiler spielt also gewissermaßen über Bande. Und damit gibt es eben doch einen plausiblen Zusammen­hang.
SP sagt: die Wissenschaft fragt meist nach dem „wie viel oder ähnlichem“. Das gilt wohl nur für Physik, Chemie und Teile der Soziologie. Die übrigen Wissenschaften fragen durchaus häufig nach dem „warum“. Etwa: Warum ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen? Warum sehen die Galapagos-Finken anders aus als die peruanischen Finken?
71: DQ: »Manche Armutsprediger leben in Saus und Braus.« Ich würde sogar sagen: Alle Politiker und Verbandsfunktionäre, die mit dem Satz an die Öffentlichkeit treten »wir müssen den Gürtel enger schnallen« leben in Saus und Braus – sie haben jedenfalls überdurchschnittlich hohe Einkommen.
SP bringt ein paar umstrittene Beispiele. Um das Prinzip, um das es ihm geht, in den Vordergrund zu rücken, hätte er wohl besser zu harmloseren Beispielen gegriffen. Ich gehe also auf die Streitthemen ein:
 »Wenn die Wissenschaft zweifelsfrei erkannt hat, dass es keinen freien Willen gibt…« Hat sie aber nicht! Es gibt nur einzelne Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse so interpretieren. Allerdings hat die Wissenschaft weit gehend zweifelsfrei erkannt, dass der moderne Kapitalismus die gesellschaftliche Ungleichheit extrem verstärkt und viele Menschen krank werden lässt. Das ist der Grund, aus dem wir unser Gesellschaftssystem umbauen müssen.
Die Homöopathie arbeitet anders als Wunderheiler mit chemisch wirksamen Substanzen (die in der Regel nicht auf Null verdünnt sind), und für deren Wirkung gibt es durchaus einen plausiblen Wirkungszusammenhang: Stichwort Impfung.
DQ sagt, die Menschen meinten mit ihrer Floskel »man müsste eigentlich« immer die anderen. Das halte ich für unwahrscheinlich. Wenn man den Sprachgebrauch der Menschen genauer untersucht, stellt man fest, dass viele Menschen (vor allem Männer) »man« sagen, wenn sie »ich« meinen. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass viele mit diesem Spruch tatsächlich sich selbst meinen.
SP: »… vor allem unsere Gefühle steuern uns in wilde Richtungen« – ach Sancho! Das kann doch genauso gut unser Verstand sein! Der kann nämlich ganz übel irren. Deine Klage über die fehlende Konsequenz bringt es an den Tag. Denn der Volksmund sagt ja auch: »Wer A sagt, muss auch B sagen.« Der kluge Bertolt Brecht widersprach: »Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch gewesen ist.« Konsequenz ist also keineswegs immer klug. Das ist überhaupt nicht trivial; Millionen von Menschen mussten sterben, weil Feldherren nicht in der Lage waren, ihre schrecklich falsche Entscheidung für einen Feldzug rechtzeitig zu revidieren. Nur weil sie konsequent bleiben wollten, schickten sie ihre Leute in den Tod. Das hatte zwar auch mit Gefühlen zu tun, zum Beispiel dem Gefühl, der alten Entscheidung, dem König oder dem Vaterlande treu bleiben zu müssen – aber es hatte auch viel mit Verstand zu tun: Mit ihrem Verstand sahen die Feldherren, dass sie sich angreifbar machen und ihre Untertanen zur Revolte einladen würden, wenn sie ihre katastrophalen Fehler zugäben.
72:  Sanchos arrogante Attacke auf die Philosophen wegen ihrer falschen Analogie­schlüsse erscheint mir recht verworren. Als Beispiel nennt er den Vergleich des Menschen mit einem Uhrwerk, den Descartes und Newton vorgenommen haben, also ein Mathematiker-Philosoph und ein Physiker. Und sagt dann auch, diese Analogie hätte zu vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen beigetragen. Also was denn nun? Sind es Philosophen oder Physiker, die zu falschen Analogieschlüssen neigen? Offenbar doch beide. Daran sollte man immer denken, wenn Physiker vom »Urknall«, Soziobiologen vom »egoistischen Gen«, Verhaltensforscher vom »vorprogrammierten Menschen« oder Neurologen davon sprechen, dass wir »Sklaven« biochemischer Vorgänge in unserem Gehirn seien. Alles das sind (vermutlich falsche) Analogieschlüsse. Und all diesen Analogieschlüssen ist gemein, dass die Wissenschaftler künstlerische und gesellschaftliche Phänomene (Knall, Egoismus, Programmieren, Sklaverei) auf die von ihnen beobachtete Natur übertragen. Deshalb kann es sehr nützlich sein, wenn Sozial- und Literaturwissenschaftler die Metaphernbildungen von Natur- und anderen Wissen­schaftlern kritisch unter die Lupe nehmen.
76: Wittgenstein hat also tatsächlich gesagt: »die Gesamtheit der wahren Sätze ist die gesamte Naturwissenschaft… die Philosophie ist keine der Naturwissenschaften.« Da kommt’s raus! Er hat die Sozial- und Geisteswissenschaften komplett ignoriert. Kein Wunder also, dass seine ganze Sprachkritik der real existierenden Sprache und Kommunikation der Menschen überhaupt nicht gerecht wird.[1] Und kein Wunder, dass Techniker und Physiker, sobald sich mit Sprache beschäftigen, immer zuerst auf den Banausen Wittgenstein stoßen. – Richtig, die Philosophie steht nicht neben den Naturwissenschaften. Sie ist, genau wie die Mathematik, eine Metawissenschaft. Aber dennoch gibt es etwas, das neben den Naturwissenschaften steht: nämlich die Sozial- und Geisteswissenschaften.
Der berühmte Wittgenstein-Spruch: Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was ich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.
Wenn Sie mich fragen: ein pubertärphilosophischer Standpunkt, von linguistischen Erkenntnissen weit gehend ungetrübt! Sprache ist notwendigerweise vieldeutig, weil sie von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird. Da die Eltern unterschiedliche Wortschätze haben, lernen auch die Kinder unterschiedliche Wortschätze. Der eine kennt also ein spezielles Wort für einen bestimmten Sachverhalt, der andere kennt es nicht und umschreibt deshalb den Sachverhalt, wenn er ihm begegnet, mit anderen Worten. Und schon ist das für Logikfanatiker ärgerliche Phänomen in der Welt, dass unterschiedliche Worte gleiche Sachverhalte und gleiche Worte unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen. Wäre es anders, gäbe es wahrscheinlich keine Liebe, keine Freundschaft und mit Sicherheit keine Literatur. À propos Literatur: George Orwell hat in seinem Roman »1984« Wittgensteins schwarze Utopie einer Sprache, die unter dem Diktat der Logik steht, ausformuliert. Sie heißt dort »Neusprache« und dient einem Diktator dazu, seinen Untertanen schon das Denken kritischer Gedanken unmöglich zu machen.
77f: Wittgenstein sagt: »Darum kann es in der Logik auch nie Überraschungen geben. Die Logik… ist ein Spiegelbild der Welt.« Hoppla! Ist das nicht ein Widerspruch? Da es in der Welt (zumindest im Leben) durchaus Überraschungen gibt, muss dann nicht auch das Spiegelbild der Welt Überraschungen aufweisen? Hier bestätigt Wittgenstein ungewollt meine Vermutung von oben, dass die Logik die Welt eben nur sehr unvollständig abbildet, nämlich zum Beispiel ohne Zufälle.
78f: Ockhams Rasiermesser ist ein segensreiches Instrument und enorm hilfreich dabei, sich in der Welt zu orientieren. Eines meiner Lieblingswerkzeuge! Gerade streite ich mich zum Beispiel mit Leuten, die krampfhaft zu beweisen versuchen, dass Uwe Barschel 1987 ermordet wurde. Ockhams Rasiermesser macht da klar Schiff: Die Mordtheorie wirft 1000 neue Fragen auf, während die Selbstmordversion, für die es mindestens vier handfeste Gründe gibt, den Fall abschließend klärt. Aber genau das scheint das Problem zu sein: Viele Menschen wollen gar nicht, dass solche Fragen abschließend geklärt werden. Sie wollen lieber, dass sie auf ewig in der Schwebe bleiben.
79: SP: »99 Prozent seines (des Affen) Erbgutes sind mit deinem identisch. Hat er deswegen auch Gefühle und Träume?« – Was ist das denn für eine Schote? Das ist doch schon längst geklärt (Beispiel hier). Natürlich haben Affen Gefühle und Träume. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Es ist sogar wissenschaftlich erwiesen (durch Tierversuche), dass Katzen Träume haben, und dass sie vom Jagen träumen. Jeder, der seine Katze aufmerksam beobachtet, kann das selber sehen. Auch die Gefühle meiner Katze kann ich deutlich erkennen. Ich sehe zum Beispiel, wie sie sich freut, wenn ich nach Hause komme. Bei Hunden ist das natürlich noch viel deutlicher zu sehen. Es ist mir ein Rätsel, wie man das noch ernsthaft in Zweifel ziehen kann; wie man die gleichen Verhaltensweisen, die wir bei Menschen selbstverständlich als Gefühlsäußerungen deuten, bei Tieren als mechanisch ablaufende Instinkthandlungen deuten kann. Obwohl doch ebenfalls schon lange wissenschaftlich erwiesen ist, dass Tiere nicht nur angeborene Instinkthandlungen und Reflexe beherrschen, sondern auch diverse individuell erlernte Verhaltensweisen, und dass Tiere (sogar Vögel) ein individuelles Gedächtnis haben. Dazu gibt’s auch ein paar Beispiele bei Precht, Wer bin ich. – Hier könnte ich mich in Rage reden!
SP meint: »99 Prozent unserer Entscheidungen fällen wir ohne logisches Denken, aus der Intuition heraus. Entsprechend hoch ist dann aber auch die Fehlerrate.« Das Dürrenmatt-Zitat dahinter ist zwar witzig, aber Sancho Pansa setzt uns hier gleich zwei unbewiesene und vermutlich unbeweisbare Behauptungen vor. Ist die Fehlerrate unserer intuitiven Entscheidungen wirklich höher als die unserer logischen Entscheidungen? Das wage ich zu bezweifeln. Leider kann man es nicht feststellen, da die meisten Entscheidungen vermischte Formen aus beidem sein dürften. Unlogisch und der Evolution widersprechend ist der Gedanke zudem, wie DQ im nächsten Satz ja auch richtig feststellt: Wenn unsere intuitiven Entscheidungen so häufig falsch wären, würde es uns nicht mehr geben. Dafür brauchen wir nicht die Raubtiere in der Steinzeit zu bemühen, dafür reicht auch eine ganz normale Autofahrt auf spanischen Landstraßen als Versuchsfeld.
80: Nachspiel zum Sprachspiel. Ah, da haben wir ja doch noch ein bisschen Linguistik! Doch statt auf Chomsky einzugehen, fällt  DQ gleich wieder auf seinen Wittgenstein zurück, der gar kein Linguist war (er hat m. W. nicht mit linguistischen Methoden geforscht). Ich glaube nicht, dass sich die beiden Theorien über den Ursprung der Sprache wirklich widersprechen. Das zeigt sich sinnigerweise auf Seite 82 bei den von Sancho zitierten Talking Heads: »Er zeigt auf ein Objekt, von dem er sich ein internes Modell gebildet hat, und benennt es.« Genau an dieser Stelle finden wir bei den Menschen, als sie die Sprache erfanden, möglicherweise die von Chomsky erwähnten angeborenen Vorstellungen.

Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
August 2012



[1]     So auch Precht, Wer bin ich, S. 112f
 


 


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