(Zahlreich erläuternde oder auf Quellen verweisende Fußnoten
des Originals bis auf einige Ausnahmen weggelassen).
6. Die Grundsatzfrage: der Streit zwischen Philosophie und Wissenschaft
Es war
nur eine Frage der Zeit, dass unsere beiden Protagonisten in den Abgrund fallen
sollten, den die auseinander treibenden Kontinente der Philosophie und der
Wissenschaft aufgerissen haben. Noch vor zweitausend, ja vor vierhundert Jahren
vereint – in ihrer Jugend –, waren diese Denkdisziplinen nun auseinander
gedriftet. Sprach man damals noch von einer philosophia
perennis, einer „immerwährenden Philosophie“, nach der sich bestimmte
philosophische Einsichten über Zeiten und Kulturen hinweg erhalten sollten, so
besaß die sich stürmisch entwickelnde Wissenschaft immer kürzere
Halbwertszeiten. Hypothesen, Theorien, Annahmen erblickten das Licht der Welt,
lebten eine kurze Zeit und wurden vom Fortschritt der Erkenntnis überrollt.
Viele Beobachter waren der Meinung, die Philosophie sei stehen geblieben oder
im Nebel der Irrelevanz verschwunden, während die Wissenschaft – allen voran
Naturwissenschaft und Technik – das tägliche Leben der Menschen und damit ihre
Weltanschauung vereinnahmten.
Zwei
unvereinbare Sichten auf die Welt?
Es hatte
sich schon längere Zeit etwas zusammengebraut. Die Gespräche waren dünner
geworden, die freundlichen Gesten hatten abgenommen. Sancho Pansa hatte ein
paar Mal den R4 überholt und hinter sich gelassen, worauf sich Don Quijote prompt
verfuhr. Sein Knappe hatte umkehren und ihn suchen müssen, was nicht ohne
boshafte Bemerkungen abgegangen war. Don Quijotes Gesicht war inzwischen wie
aus grauem Schieferstein gemeißelt, und Sancho Pansa sah aus wie ein
Dampfkessel kurz vor der Explosion. Die Atmosphäre zwischen ihnen war dick,
gelb und schwefelhaltig geworden und schien ein zündfähiges Gas zu enthalten.
Don
Quijote, der – wie er meinte – Weisere und Höherstehende, entschied in
Erinnerung an das Vergnügen seiner Jugend, die Corrida de Toros, den
schnaubenden Stier, als der Sancho Pansa ihm erschien, anzugreifen. Beim
Mittagessen beschloss er, ihn darauf anzusprechen. Hatte er gedacht, ihn wie
der Picador, der Lanzenreiter, nur ein wenig zu reizen, so musste er erleben,
wie sein Knappe sofort in Wut geriet.
DQ: Dein Ton, wie ich schon gesagt habe,
gefällt mit in letzter Zeit gar nicht mehr. Ich bin dein Herr, und du bist mein
Diener. Du solltest die naturgegebene Rangfolge nie missachten.
SP: Die gibt es schon lange nicht mehr. Hast
du vergessen, was Karl Marx 1843 in Paris zu dir gesagt hat? Ich erinnere mich,
als wäre es gestern gewesen. „Die Herrschaft der unterdrückten Mehrheit über
die ehemaligen Unterdrücker beginnt“. Wir sind nun die herrschende Klasse. Wer
hat denn dein verrottetes Landgut in Schuss gehalten, den Traktor erfunden, um
dein Land zu bestellen, elektrisches Licht installiert? Du saßest an deinem
Schreibtisch und hast vor dich hin gedacht. In der warmen Stube – und wir haben
die Heizung in Gang gehalten.
DQ: Ich bin dein Herr…
SP: Ein Frühstücksdirektor bist du. Wer hat in
unseren Schulen das Sagen, der Schulleiter? Nein, es ist der Hausmeister. Die
arbeitende Klasse. Die Wissenschaft bestimmt unser Leben schon Jahrhunderte,
ihr Philosophen erzeugt nur noch bedrucktes Papier. Lange unverständliche
Sätze, die höchstens von dummen Ingenieuren in die Bedienungsanleitungen ihrer
Geräte übernommen werden.
DQ: (gähnt demonstrativ und provozierend) Damit
kannst du mich nicht treffen. Das hat Hegel schon geschrieben: „Herr und Knecht
stehen zueinander in einer sich gegenseitig bedingenden dialektischen und
zyklischen Beziehung.“ Der Präsident des
Staates ist abhängig von seinem Rhetorik-Berater, den er aber jederzeit feuern
kann.
SP: Was schließt ihr daraus? Nichts. Eure
Zunft verändert nichts. Mit Hegel kann ich dir antworten: „Der Knecht steht der
Wirklichkeit am nächsten und lernt dabei am meisten“.
DQ: Dir mangelt es an Bescheidenheit. Seit
jeher bewohnte die Wissenschaft im Haus der Philosophie nur das Gästezimmer.