(Zahlreich erläuternde oder auf Quellen verweisende Fußnoten
des Originals bis auf einige Ausnahmen weggelassen).
5. Die seltsamen Schleifen des Seins
Die gemeinsame Basis von Evolution und Denken – die Logik –
scheint auf ehernen Füßen unverrückbar zu stehen. Dass sie (und damit
wir?) verrückt werden kann, ist eine wichtige und folgenreiche
Erkenntnis. Ein Kernstück dieser Logik ist die Kausalität, die eherne
Kopplung zwischen Ursache und Wirkung. Sie scheint linear zu verlaufen,
sogar in zeitlicher Abfolge: Die Wirkung folgt der Ursache. Drüber
dachte schon Aristoteles vierhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung
nach. Verrückt, also verschoben wird dieses Prinzip schon durch eine
simple Umkehrung: die Wirkung liegt vor der Ursache. Das ist nicht
denkbar, denn es ist nicht in diesem Sinne definiert. Gemeint ist eine
Schleife: die Wirkung verändert die Ursache, die eine (ebenfalls
geänderte, aber möglicherweise ähnliche) Wirkung erzeugt. Wem dies zu
abstrakt ist, der stelle sich ein Beispiel vor: Der Hund bellt. Diese
Ursache führt dazu, dass ich mich ärgere und ihn anschreie: „Ruhig!“
Diese Wirkung veranlasst den Hund zu lauterem Gebell, denn er hält das
für einen Schrei-Wettkampf. Das ist die Ursache für stärkeren Ärger und
lautere Kommandos, die den Hund zu mehr Gebell… Sie merken, wie das
läuft.
Vom alten Denken der
Philosophie in Ursache und Wirkung als lineare Kette können wir uns also verabschieden
– nicht nur, weil der Zufall sie mit seinem Zaubermantel unsichtbar macht (wie
wir im vorigen Kapitel gesehen haben). Die Wissenschaft hat inzwischen die
Rückkopplung entdeckt – sie ist der zentrale kausale Mechanismus im Leben.
Diese Schleifen haben etwas
mit „Selbstbezüglichkeit“ zu tun, die zu unsinnigen Sätzen führen kann. Als
unsinnig bezeichnet der Philosoph Wittgenstein alle Sätze, die weder sinnvoll
noch sinnlos sind. Ein Satz wie etwa „Was ich hiermit schreibe, ist falsch“,
der sich nur auf sich selbst und auf nichts außer ihm in der Welt bezieht (eine
Anspielung auf das Paradoxon des Epimenides),
erlangt infolgedessen nie Bedeutung.
Selbstbezüglichkeit ist
auch im Spiel, wenn das Gehirn über sich selbst nachdenkt, wenn
Verschwörungstheoretiker die Untersuchungsergebnisse unabhängiger Kommissionen
als Verschwörungstheorie bezeichnen, wenn Trinker sich besaufen, weil sie unglücklich
sind, weil sie trinken.
Seltsame Schleifen
bestimmen unser Leben, von Anbeginn und in alle Ewigkeit. Wir sehen es am
modernen politischen Leben: die Meinung des Volkes beeinflusst die Handlungen
der Politiker, die die Meinung des Volkes verändern. Die Medien – ein schöner
Begriff in diesem Zusammenhang – sind die Vermittler und Transportriemen in
diesem Kreislauf.
Ich sage es mal provokant: Alle
modernen Systeme in unserer Welt, von den biologischen bis zu den
wirtschaftlichen, sind komplex, vernetzt und rückgekoppelt. Nur zwei Beispiele
aus der Finanzwirtschaft: Wir leihen Staaten Geld, damit sie Waffen bei uns
kaufen können, damit wir Geld zum Verleihen bekommen. Der Staat macht bei den
Bürgern Schulden – in Form von Staatsanleihen –, damit er ihnen die Zinsen
dafür bezahlen kann. Wir durchschauen diese Rückkopplungsschleifen nicht und
beherrschen sie noch weniger. Doch hören wir zu, was Philosophie und Wissenschaft
dazu zu sagen haben.
Die Entscheidung für
Mallorca als ihr nächstes Ziel war sehr schnell gefallen. Anders als
üblicherweise, wo es lange Diskussionen mit viel Hin und Her gab, hatten sie sich
gegenseitig gewissermaßen argumentativ hochgeschaukelt. Positive Rückkopplung,
wie Sancho Pansa geheimnisvoll bemerkte, worauf man noch zu sprechen kommen
werde. Don Quijote wurde dadurch angelockt, dass sein Gefährte ihn auf die
vielen Original-R4 hinwies, die er auf der Insel sehen würde, und auf die
Tatsache, dass kein Mensch über 70 km/h führe – die Einheimischen nicht, weil
sie noch dem Tempo von Eselskarren nachtrauerten, die Touristen nicht, weil sie
die Augen auf die landschaftliche Schönheit anstatt auf die Straße hefteten.
Sancho Pansa hingegen erlag der Aussicht, im Ofen geröstetes Spanferkel und
erlesene Rotweise genießen zu dürfen. Zudem würde man eine Nacht auf der Fähre
von Barcelona nach Palma verbringen, wo der Hidalgo
sich fühlen würde wie auf dem Rücken seiner schaukelnden Rosinante.
So saßen sie im Speiseraum
des Schiffes, dessen Maschinen einen beruhigend brummenden Geräuschteppich über
ihre Sinne breiteten und sprachen über die seltsame Frage, ob man die Welt
„objektiv“ erkennen könne.
DQ: Wir sprachen
über den Dualismus Subjekt – Objekt. Jedes Subjekt kann Objekt einer
Betrachtung, Untersuchung, Beschäftigung, Behandlung und so weiter eines
anderen Subjekts sein.
SP: Kann ein
Subjekt auch Objekt von sich selbst
sein? Sich selbst betrachten?
DQ: Na klar. Descartes hat es uns vorgemacht: er hat über sich selbst
nachgedacht. Cogito ergo sum.1
SP: Das Gehirn ist
ein Organ, das über sich selbst nachdenkt. Das ist spannend. Diese
Selbstbezüglichkeit hat aber sicher Grenzen, oder? Ein Psychiater kann sich
nicht selbst behandeln, ein Schachspieler nicht gegen sich selbst spielen und
sich mit einem überraschenden Zug verblüffen.
DQ: Ein Chirurg
kann sich aber selbst operieren…
SP: … solange er
es nicht unter Vollnarkose macht, der Aufschneider.
DQ: Darf ein Arzt
sich selbst ein Rezept ausstellen?
SP: Vielleicht
nur, wenn es sich um ein Medikament gegen Schizophrenie handelt.
DQ: Aus dem Altgriechischen,
mein Freund: s|chizein heißt „abspalten“
und phrēn „Seele“, lustigerweise aber
auch „ Zwerchfell“, das man als den Sitz aller geistigen Regungen und
Fähigkeiten betrachtete, als das körperliche Prinzip des geistigen Lebens…
SP: Ja, gut!
Verschone mich mit deinen alten Griechen! Wir waren bei der Selbstreferenzialität
und den seltsamen Schleifen, die entstehen, wenn sich etwas auf sich selbst
bezieht, eine Folge zu ihrer eigenen Voraussetzung wird. Vielleicht ist die
Welt ein Möbiusband?
DQ: Was ist das
denn?
SP: Eine umgekehrt
zusammengeklebte Papierschleife. Im übertragenen Sinne die Anweisung der
Eltern: „Werde endlich selbständig und füge dich nicht immer Anweisungen!“
DQ: Sehen Menschen
keinen Sinn im Leben, weil sie Depressionen haben oder haben sie Depressionen,
weil sie keinen Sinn im Leben sehen?
SP: War erst das
Ei da oder die Henne? Ist das nicht eine intellektuelle Spielerei?
DQ: Nein. Wer nur
die erste Variante für zutreffend hält, der übersieht vielleicht eine
Therapiemöglichkeit, die auf dem zweiten Ansatz beruht: dem Leben einen Sinn
geben. Aber auf das Thema kommen wir noch.
SP: Keine Regel
ohne Ausnahme, haben wir einmal festgestellt.
DQ: „Keine Regel
ohne Ausnahme“ – ist das eine Regel?
SP: Ja.
DQ: Dann hat sie
auch eine Ausnahme. Also ist der Satz falsch. Der Selbstbezug hat ihn vernichtet.
Dies ist ein Hinweis auf die grundsätzliche Tücke solcher Sätze.
SP: Du wirst
reich, wenn du berühmt bist, weil du reich bist. Je mehr Freunde du hast, desto
schneller wächst dein Freundeskreis. Sich selbst nährende zyklische Prozesse.
DQ: Der flache
Zyklus der einfachen Widersprüchlichkeit wird zur Spirale – ein Symbol für eine
Weiter- und Höher-Entwicklung.
SP: Je reicher wir
werden, desto ärmer werden wir.
DQ: Erkläre dich
deutlich! Meinst du das in Bezug auf die äußeren und inneren Werte?
SP: Nein, ganz
direkt, rechnerisch. Als „Armut“ ist ein Einkommen von weniger als sechzig
Prozent des Durchschnittseinkommens definiert. Steigt dieses, gelten mehr Leute
als arm.
DQ: Auch die
reichen Erben, die überhaupt kein Arbeitseinkommen haben? Ich sehe, mit
statistischen Tricks lässt sich jede Menge Unfug behaupten. Aber was soll das
jetzt hier?
SP: Ich wollte nur
auf die paradoxe Formulierung hinweisen, auf eine Situation, die auf sich
selbst zurückwirkt.
DQ: Ja, die Selbstbezüglichkeit
kann logische Paradoxien und „Seltsame Schleifen“ erzeugen.
SP: Sie schafft
unklare Situationen und unbeweisbare Sätze in der Logik. Das Barbier-Paradoxon,
ein Abbild des Gödelschen
Unvollständigkeitssatzes…2
DQ: Wir sehen uns offenbar auch in dualer Form mit
einem schizophrenen Blick. Ich betrachte mich
selbst. Nicht im Spiegel, im Geiste – „Selbstfindung“, „zu sich kommen“,
„außer sich sein“ und andere Formulierungen zeigen das.
SP: „Zwei Seelen
wohnen, ach! in meiner Brust“, das sagte schon Faust bei Goethe.
DQ: Holla! Das ist mein Zitatenschatz! Na gut. Mehr ist
nicht dran. Interessant, verblüffend, lustig, geistreich – etwas für den
schöngeistigen Salon.
SP: Mein Herr, Sie werden sich noch wundern! Lebensweisheiten stecken darin:
Das Amt verändert den Menschen und der Mensch verändert das Amt. Nur ein Beispiel – zu betrachten in Politik
und Wirtschaft.
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1 Deutsch: Ich denke, also bin ich. Er zweifelt an seiner eignen Existenz. Also muss es ein Existierendes geben, das diesen Zweifel hegt. Gäbe es ihn nicht (als Ich, als Selbst, als denkendes Individuum), so wäre da ja nichts, was diesen Zweifel generieren könne. Also ist damit seine Existenz bewiesen.
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1 Deutsch: Ich denke, also bin ich. Er zweifelt an seiner eignen Existenz. Also muss es ein Existierendes geben, das diesen Zweifel hegt. Gäbe es ihn nicht (als Ich, als Selbst, als denkendes Individuum), so wäre da ja nichts, was diesen Zweifel generieren könne. Also ist damit seine Existenz bewiesen.
2 Der Barbier ist derjenige,
der alle die rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Die Frage ist: Rasiert
der Barbier sich selbst? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da sie
einen inneren Widerspruch erzeugt. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Barbier-Paradoxon).
Das bedeutet: Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder
widersprüchlich oder unvollständig (Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gödelscher_Unvollständigkeitssatz).
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