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Samstag, 18. August 2012

Leseprobe aus „Don Quijote“


(Zahlreich erläuternde oder auf Quellen verweisende Fußnoten des Originals bis auf einige Ausnahmen weggelassen). 

5.     Die seltsamen Schleifen des Seins

Die gemeinsame Basis von Evolution und Denken – die Logik – scheint auf ehernen Füßen unverrückbar zu stehen. Dass sie (und damit wir?) verrückt werden kann, ist eine wichtige und folgenreiche Erkenntnis. Ein Kernstück dieser Logik ist die Kausalität, die eherne Kopplung zwischen Ursache und Wirkung. Sie scheint linear zu verlaufen, sogar in zeitlicher Abfolge: Die Wirkung folgt der Ursache. Drüber dachte schon Aristoteles vierhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung nach. Verrückt, also verschoben wird dieses Prinzip schon durch eine simple Umkehrung: die Wirkung liegt vor der Ursache. Das ist nicht denkbar, denn es ist nicht in diesem Sinne definiert. Gemeint ist eine Schleife: die Wirkung verändert die Ursache, die eine (ebenfalls geänderte, aber möglicherweise ähnliche) Wirkung erzeugt. Wem dies zu abstrakt ist, der stelle sich ein Beispiel vor: Der Hund bellt. Diese Ursache führt dazu, dass ich mich ärgere und ihn anschreie: „Ruhig!“ Diese Wirkung veranlasst den Hund zu lauterem Gebell, denn er hält das für einen Schrei-Wettkampf. Das ist die Ursache für stärkeren Ärger und lautere Kommandos, die den Hund zu mehr Gebell… Sie merken, wie das läuft. 
Vom alten Denken der Philosophie in Ursache und Wirkung als lineare Kette können wir uns also verabschieden – nicht nur, weil der Zufall sie mit seinem Zaubermantel unsichtbar macht (wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben). Die Wissenschaft hat inzwischen die Rückkopplung entdeckt – sie ist der zentrale kausale Mechanismus im Leben.
Diese Schleifen haben etwas mit „Selbstbezüglichkeit“ zu tun, die zu unsinnigen Sätzen führen kann. Als unsinnig bezeichnet der Philosoph Wittgenstein alle Sätze, die weder sinnvoll noch sinnlos sind. Ein Satz wie etwa „Was ich hiermit schreibe, ist falsch“, der sich nur auf sich selbst und auf nichts außer ihm in der Welt bezieht (eine Anspielung auf das Paradoxon des Epimenides), erlangt infolgedessen nie Bedeutung.
Selbstbezüglichkeit ist auch im Spiel, wenn das Gehirn über sich selbst nachdenkt, wenn Verschwörungstheoretiker die Untersuchungsergebnisse unabhängiger Kommissionen als Verschwörungstheorie bezeichnen, wenn Trinker sich besaufen, weil sie unglücklich sind, weil sie trinken.
Seltsame Schleifen bestimmen unser Leben, von Anbeginn und in alle Ewigkeit. Wir sehen es am modernen politischen Leben: die Meinung des Volkes beeinflusst die Handlungen der Politiker, die die Meinung des Volkes verändern. Die Medien – ein schöner Begriff in diesem Zusammenhang – sind die Vermittler und Transportriemen in diesem Kreislauf.
Ich sage es mal provokant: Alle modernen Systeme in unserer Welt, von den biologischen bis zu den wirtschaftlichen, sind komplex, vernetzt und rückgekoppelt. Nur zwei Beispiele aus der Finanzwirtschaft: Wir leihen Staaten Geld, damit sie Waffen bei uns kaufen können, damit wir Geld zum Verleihen bekommen. Der Staat macht bei den Bürgern Schulden – in Form von Staatsanleihen –, damit er ihnen die Zinsen dafür bezahlen kann. Wir durchschauen diese Rückkopplungsschleifen nicht und beherrschen sie noch weniger. Doch hören wir zu, was Philosophie und Wissenschaft dazu zu sagen haben.


Die Entscheidung für Mallorca als ihr nächstes Ziel war sehr schnell gefallen. Anders als üblicherweise, wo es lange Diskussionen mit viel Hin und Her gab, hatten sie sich gegenseitig gewissermaßen argumentativ hochgeschaukelt. Positive Rückkopplung, wie Sancho Pansa geheimnisvoll bemerkte, worauf man noch zu sprechen kommen werde. Don Quijote wurde dadurch angelockt, dass sein Gefährte ihn auf die vielen Original-R4 hinwies, die er auf der Insel sehen würde, und auf die Tatsache, dass kein Mensch über 70 km/h führe – die Einheimischen nicht, weil sie noch dem Tempo von Eselskarren nachtrauerten, die Touristen nicht, weil sie die Augen auf die landschaftliche Schönheit anstatt auf die Straße hefteten. Sancho Pansa hingegen erlag der Aussicht, im Ofen geröstetes Spanferkel und erlesene Rotweise genießen zu dürfen. Zudem würde man eine Nacht auf der Fähre von Barcelona nach Palma verbringen, wo der Hidalgo sich fühlen würde wie auf dem Rücken seiner schaukelnden Rosinante.
So saßen sie im Speiseraum des Schiffes, dessen Maschinen einen beruhigend brummenden Geräuschteppich über ihre Sinne breiteten und sprachen über die seltsame Frage, ob man die Welt „objektiv“ erkennen könne.
DQ:     Wir sprachen über den Dualismus Subjekt – Objekt. Jedes Subjekt kann Objekt einer Betrachtung, Untersuchung, Beschäftigung, Behandlung und so weiter eines anderen Subjekts sein.
SP:      Kann ein Subjekt auch Objekt von sich selbst sein? Sich selbst betrachten?
DQ:  Na klar. Descartes hat es uns vorgemacht: er hat über sich selbst nachgedacht. Cogito ergo sum.1
SP:      Das Gehirn ist ein Organ, das über sich selbst nachdenkt. Das ist spannend. Diese Selbstbezüglichkeit hat aber sicher Grenzen, oder? Ein Psychiater kann sich nicht selbst behandeln, ein Schachspieler nicht gegen sich selbst spielen und sich mit einem überraschenden Zug verblüffen.
DQ:     Ein Chirurg kann sich aber selbst operieren…
SP:      … solange er es nicht unter Vollnarkose macht, der Aufschneider.
DQ:     Darf ein Arzt sich selbst ein Rezept ausstellen?
SP:      Vielleicht nur, wenn es sich um ein Medikament gegen Schizophrenie handelt.
DQ:     Aus dem Altgriechischen, mein Freund: s|chizein heißt „abspalten“ und phrēn „Seele“, lustigerweise aber auch „ Zwerchfell“, das man als den Sitz aller geistigen Regungen und Fähigkeiten betrachtete, als das körperliche Prinzip des geistigen Lebens…
SP:      Ja, gut! Verschone mich mit deinen alten Griechen! Wir waren bei der Selbstreferenzialität und den seltsamen Schleifen, die entstehen, wenn sich etwas auf sich selbst bezieht, eine Folge zu ihrer eigenen Voraussetzung wird. Vielleicht ist die Welt ein Möbiusband?
DQ:     Was ist das denn?
SP:      Eine umgekehrt zusammengeklebte Papierschleife. Im übertragenen Sinne die Anweisung der Eltern: „Werde endlich selbständig und füge dich nicht immer Anweisungen!“
DQ:     Sehen Menschen keinen Sinn im Leben, weil sie Depressionen haben oder haben sie Depressionen, weil sie keinen Sinn im Leben sehen?
SP:      War erst das Ei da oder die Henne? Ist das nicht eine intellektuelle Spielerei?
DQ:     Nein. Wer nur die erste Variante für zutreffend hält, der übersieht vielleicht eine Therapiemöglichkeit, die auf dem zweiten Ansatz beruht: dem Leben einen Sinn geben. Aber auf das Thema kommen wir noch.
SP:      Keine Regel ohne Ausnahme, haben wir einmal festgestellt.
DQ:     „Keine Regel ohne Ausnahme“ – ist das eine Regel?
SP:      Ja.
DQ:     Dann hat sie auch eine Ausnahme. Also ist der Satz falsch. Der Selbstbezug hat ihn vernichtet. Dies ist ein Hinweis auf die grundsätzliche Tücke solcher Sätze.
SP:      Du wirst reich, wenn du berühmt bist, weil du reich bist. Je mehr Freunde du hast, desto schneller wächst dein Freundeskreis. Sich selbst nährende zyklische Prozesse.
DQ:     Der flache Zyklus der einfachen Widersprüchlichkeit wird zur Spirale – ein Symbol für eine Weiter- und Höher-Entwicklung.
SP:      Je reicher wir werden, desto ärmer werden wir.
DQ:     Erkläre dich deutlich! Meinst du das in Bezug auf die äußeren und inneren Werte?
SP:      Nein, ganz direkt, rechnerisch. Als „Armut“ ist ein Einkommen von weniger als sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens definiert. Steigt dieses, gelten mehr Leute als arm.
DQ:     Auch die reichen Erben, die überhaupt kein Arbeitseinkommen haben? Ich sehe, mit statistischen Tricks lässt sich jede Menge Unfug behaupten. Aber was soll das jetzt hier?
SP:      Ich wollte nur auf die paradoxe Formulierung hinweisen, auf eine Situation, die auf sich selbst zurückwirkt.
DQ:     Ja, die Selbstbezüglichkeit kann logische Paradoxien und „Seltsame Schleifen“ erzeugen.
SP:      Sie schafft unklare Situationen und unbeweisbare Sätze in der Logik. Das Barbier-Paradoxon, ein Abbild des  Gödelschen Unvollständigkeitssatzes…2
DQ:     Wir sehen uns offenbar auch in dualer Form mit einem schizophrenen Blick. Ich betrachte mich selbst. Nicht im Spiegel, im Geiste – „Selbstfindung“, „zu sich kommen“, „außer sich sein“ und andere Formulierungen zeigen das.
SP:      „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“, das sagte schon Faust bei Goethe.
DQ:     Holla! Das ist mein Zitatenschatz! Na gut. Mehr ist nicht dran. Interessant, verblüffend, lustig, geistreich – etwas für den schöngeistigen Salon.
SP:      Mein Herr, Sie werden sich noch wundern! Lebensweisheiten stecken darin: Das Amt verändert den Menschen und der Mensch verändert das Amt. Nur ein Beispiel – zu betrachten in Politik und Wirtschaft.
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1 Deutsch: Ich denke, also bin ich. Er zweifelt an seiner eignen Existenz. Also muss es ein Existierendes geben, das diesen Zweifel hegt. Gäbe es ihn nicht (als Ich, als Selbst, als denkendes Individuum), so wäre da ja nichts, was diesen Zweifel generieren könne. Also ist damit seine Existenz bewiesen.
2 Der Barbier ist derjenige, der alle die rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Die Frage ist: Rasiert der Barbier sich selbst? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da sie einen inneren Widerspruch erzeugt. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Barbier-Paradoxon). Das bedeutet: Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gödelscher_Unvollständigkeitssatz).








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