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Dienstag, 20. August 2013

DQ & SP Detailkritik (8)



Lesen Sie heute – wieder nach einer etwas längeren Pause („Sommerloch“) –, was Jens Jürgen Korff zum siebten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!


Der Inhalt in Kurzfassung: 




Zum 7. Kapitel: Wahrheit und Erkenntnis

157: Don Quijote könnte eigentlich auch mal ein Gedankenexperiment anregen.
Vorsicht bei Archimedes! Don Quijote hat ihn selber schon erwähnt, in einer Stelle, wo es um den festen Punkt ging, von dem aus man die Erde aus den Angeln heben kann. Etwas unglaubwürdig, dass ein Philosoph nicht weiß, wer Archimedes war. 

158: Don stellt sich immer wieder unwahrscheinlich dumm an. Es gibt sicher Leute, die so dümmlich argumentieren. Aber das sind in der Regel keine Philosophen. 

159: Sanchos Prinzip, Theorien dadurch zu verifizieren, dass man funktionierende Technik findet, die auf der jeweiligen Theorie basiert, erscheint mir einerseits ziemlich pfiffig; andererseits aber nicht unproblematisch. Es dürfte auch funktionierende Techniken geben, die auf falschen Theorien aufgebaut wurde. Zum Beispiel Kalender und Navigationsgeräte, die auf dem ptolemäischen Weltbild aufgebaut waren und funktionierten. Auf jeden Fall gibt es das im sozialen Bereich, bei Herrschaftstechniken. Die Theorie des Gottesgnaden­tums von Herrschern hat als Herrschaftstechnik jahrhundertelang sehr gut funktioniert.

162: Dons Ausführungen über verschiedene Wirklichkeitstheorien verdienten es, weiter ausdiskutiert zu werden. Sanchos Einwand über ein unverständliches Zitat der radikalen Konstruktivisten erscheint mir undurchsichtig. Naja, vielleicht sollte ich schweigen.

163: Die Computermetapher mit den Pixeln erscheint mir hier eher irreführend. Einmal mehr wird das Medium mit der Botschaft verwechselt. Wir nehmen keine Bildpunkte war, sondern komplette Bilder. Und unser Gehirn bildet bestimmt keine Kategorien, ehe es Begriffe gebildet hat. Der Prozess dürfte umgekehrt verlaufen: Wir bilden zuerst Begriffe und teilen sie erst dann in Kategorien ein. Der Erkenntnisfortschritt verläuft vom Einzelnen zum Gesamten, vom Konkreten zum Abstrakten. Sobald wir gelernt haben, dass wir mit Bäumen irgendetwas zu tun haben – sei es, dass sich uns nützlich, sei es, dass sie uns gefährlich sein können, sei es, dass sie uns einfach erfreuen – bilden wir einen Begriff Baum, damit wir uns über unsere Erfahrungen austauschen können. Dieser Begriff wird wahrscheinlich zunächst von einer Durchschnittsform oder einer besonders häufigen Form geprägt. Dass Sonderformen wie zum Beispiel besonders hohe, spitze Bäume ebenfalls Bäume sind, erkennt man erst später.
Ich weiß nicht, warum Don Quijote immer auf den elektrischen und chemischen Signalen herumreitet. Der Baum existiert als Lebewesen außerhalb von uns, und der existiert als Bild in unserem Gehirn. Dass er unterwegs zwischen Auge und Gehirn kurzzeitig die Form von elektrischen Signalen hatte, spielt dabei überhaupt keine Rolle. So wenig wie die Technik der Papierherstellung den Inhalt des Buches und mein Verständnis dieses Inhalts beeinflusst.

164: Hier darf ich Sancho Pansa einmal mit seiner eigenen Frage von Seite 158 traktieren: Was weißt du denn von Paul Feyerabend und seinem Buch »Anything Goes – Wider den Methodenzwang«? Doch wohl grade mal das Schlagwort, das du brauchst, um dein Dogma über die postmoderne Beliebigkeit zu bestätigen.
Don zitiert einen interessanten Gedanken von Meister Eckhart: Auch emotionale Zustände gehören zur Wirklichkeit, weil sie eine Wirkung haben. Was folgt daraus? Das bleibt leider undiskutiert, weil Sancho sofort wieder seiner Idiosynkrasie frönen darf, sobald ein Unbefugter das Wort Quantenphysik in den Mund nimmt. (Ähnlich reagieren übrigens Nietzsche-Verehrer, wenn ich oder andere Unbefugte das Wort »Sklavenmoral« in den Mund nehmen.)

167 oben: Die Frage, ob wir die Wirklichkeit nur in unserem Kopf erschaffen, oder ob sie draußen existiert, ist nun wirklich eine Frage, die primär Don Quijote beantworten sollte.

169: Beim Thema Schwarmintelligenz und Massenwahn scheint mir einiges durcheinander zu gehen. Die historische Erfahrung zeigt in der Tat, dass Widerstandskämpfe gegen Diktaturen nur dann Erfolg versprechend sind, wenn sie sich auf Meinungen stützen, die zumindest insgeheim relativ weit verbreitet sind. Der Massenwahn in Diktaturen hat mit demokratischen Abstimmungen überhaupt nichts zu tun. Es ist eher genau das Gegenteil davon – schließlich sind Diktaturen das Gegenteil von Demokratie. Es schimmert hier ein prinzipielles Misstrauen gegen die Demokratie durch, das der Philosoph mit dem Physiker zu teilen scheint. Die Konsenstheorie der Wahrheit nach Habermas setzt den offenen und freien Diskurs voraus, ist also mit diktatorischen Verhältnissen überhaupt nicht vereinbar. Es ist insofern tatsächlich keine Sache der demokratischen Abstimmung, weil ein Konsens erst dann vorliegt, wenn eine Meinung nach offener und kontroverser Debatte von einer sehr großen Mehrheit der Menschen geteilt wird. 

171: Sancho doziert: »Wer seine Gewissheiten für wahr hält, ist intolerant. Dogmatismus… ist die Gewissheit, besser zu wissen als alle anderen, was richtig und was falsch ist.« Und was ist jetzt mit dem Archimedes-Prinzip, das dafür sorgt, das Schiffe schwimmen; dem Bernoulli-Effekt, der dafür sorgt, dass Flugzeuge fliegen usw. – lauter Gewissheiten, die Sancho auf Seite 158 aufgeführt hat und offensichtlich für wahr hält? Ist er also intolerant? Nein, sondern das bedeutet: So kann der Satz nicht stehen bleiben. Auch die Dogmatismus-Definition erscheint mir zweifelhaft. Ein Dogma ist eine Meinung, die nicht der Kritik ausgesetzt wird; die sich dem offenen Meinungsstreit entzieht. Eine Gewissheit dagegen ist eine Meinung, die sich bereits in zahlreichen Debatten bewährt hat. In diesem Sinne kann ein Dogma gar keine Gewissheit sein. Eine Wahrheit wäre schließlich nach der Konsenstheorie (die in ähnlicher Form ja schon von Aristoteles vertreten wurde) eine Gewissheit, die von einer sehr großen Mehrheit derjenigen, die sich mit der Frage diskursiv beschäftigt haben, geteilt wird.

172: Insofern stimme ich Don Quijote und Sokrates zu: »Meine Gewissheit ist ein Indiz für die Wahrheit, aber kein Beweis.«

174: Wenn wir Informationen in eine Stoffwechsel-Metapher einbauen, dann entspricht das durch Verwertung von Informationen entstandene Wissen nicht den Exkrementen, sondern zum Beispiel den Muskelbewegungen; denn das ist, was der Körper aus der Verwertung von Nährstoffen zieht.






Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
Oktober 2012