Lesen Sie heute – wieder nach einer etwas längeren Pause („Sommerloch“) –, was Jens Jürgen Korff zum siebten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!
Der Inhalt in Kurzfassung:
Zum 7. Kapitel: Wahrheit und Erkenntnis
157: Don Quijote
könnte eigentlich auch mal ein Gedankenexperiment anregen.
Vorsicht bei Archimedes! Don Quijote hat ihn selber schon erwähnt, in einer Stelle, wo es um den festen Punkt ging, von dem aus man die Erde aus den Angeln heben kann. Etwas unglaubwürdig, dass ein Philosoph nicht weiß, wer Archimedes war.
Vorsicht bei Archimedes! Don Quijote hat ihn selber schon erwähnt, in einer Stelle, wo es um den festen Punkt ging, von dem aus man die Erde aus den Angeln heben kann. Etwas unglaubwürdig, dass ein Philosoph nicht weiß, wer Archimedes war.
158: Don stellt
sich immer wieder unwahrscheinlich dumm an. Es gibt sicher Leute, die so
dümmlich argumentieren. Aber das sind in der Regel keine Philosophen.
159: Sanchos
Prinzip, Theorien dadurch zu verifizieren, dass man funktionierende Technik findet, die auf der jeweiligen Theorie
basiert, erscheint mir einerseits ziemlich pfiffig; andererseits aber nicht
unproblematisch. Es dürfte auch funktionierende Techniken geben, die auf
falschen Theorien aufgebaut wurde. Zum Beispiel Kalender und Navigationsgeräte,
die auf dem ptolemäischen Weltbild aufgebaut waren und funktionierten. Auf
jeden Fall gibt es das im sozialen Bereich, bei Herrschaftstechniken. Die
Theorie des Gottesgnadentums von Herrschern hat als Herrschaftstechnik
jahrhundertelang sehr gut funktioniert.
162: Dons
Ausführungen über verschiedene Wirklichkeitstheorien
verdienten es, weiter ausdiskutiert zu werden. Sanchos Einwand über ein
unverständliches Zitat der radikalen Konstruktivisten erscheint mir
undurchsichtig. Naja, vielleicht sollte ich schweigen.
163: Die Computermetapher mit den Pixeln erscheint
mir hier eher irreführend. Einmal mehr wird das Medium mit der Botschaft
verwechselt. Wir nehmen keine Bildpunkte war, sondern komplette Bilder. Und
unser Gehirn bildet bestimmt keine Kategorien, ehe es Begriffe gebildet hat.
Der Prozess dürfte umgekehrt verlaufen: Wir bilden zuerst Begriffe und teilen
sie erst dann in Kategorien ein. Der Erkenntnisfortschritt verläuft vom
Einzelnen zum Gesamten, vom Konkreten zum Abstrakten. Sobald wir gelernt haben,
dass wir mit Bäumen irgendetwas zu tun haben – sei es, dass sich uns nützlich,
sei es, dass sie uns gefährlich sein können, sei es, dass sie uns einfach
erfreuen – bilden wir einen Begriff Baum,
damit wir uns über unsere Erfahrungen austauschen können. Dieser Begriff wird
wahrscheinlich zunächst von einer Durchschnittsform oder einer besonders
häufigen Form geprägt. Dass Sonderformen wie zum Beispiel besonders hohe,
spitze Bäume ebenfalls Bäume sind, erkennt man erst später.
Ich weiß nicht, warum Don Quijote immer auf den elektrischen und chemischen Signalen
herumreitet. Der Baum existiert als Lebewesen außerhalb von uns, und der
existiert als Bild in unserem Gehirn. Dass er unterwegs zwischen Auge und
Gehirn kurzzeitig die Form von elektrischen Signalen hatte, spielt dabei
überhaupt keine Rolle. So wenig wie die Technik der Papierherstellung den
Inhalt des Buches und mein Verständnis dieses Inhalts beeinflusst.
164: Hier darf
ich Sancho Pansa einmal mit seiner eigenen Frage von Seite 158 traktieren: Was
weißt du denn von Paul Feyerabend
und seinem Buch »Anything Goes – Wider den Methodenzwang«? Doch wohl grade mal
das Schlagwort, das du brauchst, um dein Dogma über die postmoderne
Beliebigkeit zu bestätigen.
Don zitiert einen interessanten Gedanken von Meister
Eckhart: Auch emotionale Zustände
gehören zur Wirklichkeit, weil sie eine Wirkung haben. Was folgt daraus? Das
bleibt leider undiskutiert, weil Sancho sofort wieder seiner Idiosynkrasie
frönen darf, sobald ein Unbefugter das Wort Quantenphysik in den Mund nimmt.
(Ähnlich reagieren übrigens Nietzsche-Verehrer, wenn ich oder andere Unbefugte
das Wort »Sklavenmoral« in den Mund nehmen.)
167 oben: Die
Frage, ob wir die Wirklichkeit nur in unserem Kopf erschaffen, oder ob sie
draußen existiert, ist nun wirklich eine Frage, die primär Don Quijote
beantworten sollte.
169: Beim Thema Schwarmintelligenz und Massenwahn
scheint mir einiges durcheinander zu gehen. Die historische Erfahrung zeigt in
der Tat, dass Widerstandskämpfe gegen Diktaturen nur dann Erfolg versprechend
sind, wenn sie sich auf Meinungen stützen, die zumindest insgeheim relativ weit
verbreitet sind. Der Massenwahn in Diktaturen hat mit demokratischen
Abstimmungen überhaupt nichts zu tun. Es ist eher genau das Gegenteil davon –
schließlich sind Diktaturen das Gegenteil von Demokratie. Es schimmert hier ein
prinzipielles Misstrauen gegen die Demokratie durch, das der Philosoph mit dem
Physiker zu teilen scheint. Die Konsenstheorie der Wahrheit nach Habermas setzt
den offenen und freien Diskurs voraus, ist also mit diktatorischen
Verhältnissen überhaupt nicht vereinbar. Es ist insofern tatsächlich keine
Sache der demokratischen Abstimmung, weil ein Konsens erst dann vorliegt, wenn
eine Meinung nach offener und kontroverser Debatte von einer sehr großen
Mehrheit der Menschen geteilt wird.
171: Sancho doziert:
»Wer seine Gewissheiten für wahr hält, ist intolerant. Dogmatismus… ist die Gewissheit, besser zu wissen als alle anderen,
was richtig und was falsch ist.« Und was ist jetzt mit dem Archimedes-Prinzip,
das dafür sorgt, das Schiffe schwimmen; dem Bernoulli-Effekt, der dafür sorgt,
dass Flugzeuge fliegen usw. – lauter Gewissheiten, die Sancho auf Seite 158
aufgeführt hat und offensichtlich für wahr hält? Ist er also intolerant? Nein,
sondern das bedeutet: So kann der Satz nicht stehen bleiben. Auch die
Dogmatismus-Definition erscheint mir zweifelhaft. Ein Dogma ist eine Meinung,
die nicht der Kritik ausgesetzt wird; die sich dem offenen Meinungsstreit
entzieht. Eine Gewissheit dagegen ist eine Meinung, die sich bereits in
zahlreichen Debatten bewährt hat. In diesem Sinne kann ein Dogma gar keine
Gewissheit sein. Eine Wahrheit wäre schließlich nach der Konsenstheorie (die in
ähnlicher Form ja schon von Aristoteles vertreten wurde) eine Gewissheit, die
von einer sehr großen Mehrheit derjenigen, die sich mit der Frage diskursiv
beschäftigt haben, geteilt wird.
172: Insofern
stimme ich Don Quijote und Sokrates zu: »Meine Gewissheit ist ein Indiz für die
Wahrheit, aber kein Beweis.«
174: Wenn wir
Informationen in eine Stoffwechsel-Metapher
einbauen, dann entspricht das durch Verwertung von Informationen entstandene
Wissen nicht den Exkrementen, sondern zum Beispiel den Muskelbewegungen; denn
das ist, was der Körper aus der Verwertung von Nährstoffen zieht.
Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
Oktober 2012
Oktober 2012