Autor

Populäre Sachbücher, Philosophie und Wissenschaft "für jedermann"

Montag, 23. Dezember 2013

Atomphysik und Kosmologie

Die "Mikrowelt" und die "Makrowelt" unterscheiden sich nicht nur deutlich von unserer "Mittelwelt", in der wir leben --- sie sind auch noch komplementär.
In meinem neuen Buch wird das mit den Karikaturen am Kapitelanfang sehr deutlich dargestellt:



Samstag, 21. Dezember 2013

Verwaistes BLOG? [:(]... Mitnichten!! [ :)]

Ja,
hier ist lange nichts passiert. Tut mir leid. Ein "zu früh verstorbener" Laptop einerseits, ein neues Buchprojekt andererseits sind die Gründe.

Demnächst mehr...

Dienstag, 20. August 2013

DQ & SP Detailkritik (8)



Lesen Sie heute – wieder nach einer etwas längeren Pause („Sommerloch“) –, was Jens Jürgen Korff zum siebten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!


Der Inhalt in Kurzfassung: 




Zum 7. Kapitel: Wahrheit und Erkenntnis

157: Don Quijote könnte eigentlich auch mal ein Gedankenexperiment anregen.
Vorsicht bei Archimedes! Don Quijote hat ihn selber schon erwähnt, in einer Stelle, wo es um den festen Punkt ging, von dem aus man die Erde aus den Angeln heben kann. Etwas unglaubwürdig, dass ein Philosoph nicht weiß, wer Archimedes war. 

158: Don stellt sich immer wieder unwahrscheinlich dumm an. Es gibt sicher Leute, die so dümmlich argumentieren. Aber das sind in der Regel keine Philosophen. 

159: Sanchos Prinzip, Theorien dadurch zu verifizieren, dass man funktionierende Technik findet, die auf der jeweiligen Theorie basiert, erscheint mir einerseits ziemlich pfiffig; andererseits aber nicht unproblematisch. Es dürfte auch funktionierende Techniken geben, die auf falschen Theorien aufgebaut wurde. Zum Beispiel Kalender und Navigationsgeräte, die auf dem ptolemäischen Weltbild aufgebaut waren und funktionierten. Auf jeden Fall gibt es das im sozialen Bereich, bei Herrschaftstechniken. Die Theorie des Gottesgnaden­tums von Herrschern hat als Herrschaftstechnik jahrhundertelang sehr gut funktioniert.

162: Dons Ausführungen über verschiedene Wirklichkeitstheorien verdienten es, weiter ausdiskutiert zu werden. Sanchos Einwand über ein unverständliches Zitat der radikalen Konstruktivisten erscheint mir undurchsichtig. Naja, vielleicht sollte ich schweigen.

163: Die Computermetapher mit den Pixeln erscheint mir hier eher irreführend. Einmal mehr wird das Medium mit der Botschaft verwechselt. Wir nehmen keine Bildpunkte war, sondern komplette Bilder. Und unser Gehirn bildet bestimmt keine Kategorien, ehe es Begriffe gebildet hat. Der Prozess dürfte umgekehrt verlaufen: Wir bilden zuerst Begriffe und teilen sie erst dann in Kategorien ein. Der Erkenntnisfortschritt verläuft vom Einzelnen zum Gesamten, vom Konkreten zum Abstrakten. Sobald wir gelernt haben, dass wir mit Bäumen irgendetwas zu tun haben – sei es, dass sich uns nützlich, sei es, dass sie uns gefährlich sein können, sei es, dass sie uns einfach erfreuen – bilden wir einen Begriff Baum, damit wir uns über unsere Erfahrungen austauschen können. Dieser Begriff wird wahrscheinlich zunächst von einer Durchschnittsform oder einer besonders häufigen Form geprägt. Dass Sonderformen wie zum Beispiel besonders hohe, spitze Bäume ebenfalls Bäume sind, erkennt man erst später.
Ich weiß nicht, warum Don Quijote immer auf den elektrischen und chemischen Signalen herumreitet. Der Baum existiert als Lebewesen außerhalb von uns, und der existiert als Bild in unserem Gehirn. Dass er unterwegs zwischen Auge und Gehirn kurzzeitig die Form von elektrischen Signalen hatte, spielt dabei überhaupt keine Rolle. So wenig wie die Technik der Papierherstellung den Inhalt des Buches und mein Verständnis dieses Inhalts beeinflusst.

164: Hier darf ich Sancho Pansa einmal mit seiner eigenen Frage von Seite 158 traktieren: Was weißt du denn von Paul Feyerabend und seinem Buch »Anything Goes – Wider den Methodenzwang«? Doch wohl grade mal das Schlagwort, das du brauchst, um dein Dogma über die postmoderne Beliebigkeit zu bestätigen.
Don zitiert einen interessanten Gedanken von Meister Eckhart: Auch emotionale Zustände gehören zur Wirklichkeit, weil sie eine Wirkung haben. Was folgt daraus? Das bleibt leider undiskutiert, weil Sancho sofort wieder seiner Idiosynkrasie frönen darf, sobald ein Unbefugter das Wort Quantenphysik in den Mund nimmt. (Ähnlich reagieren übrigens Nietzsche-Verehrer, wenn ich oder andere Unbefugte das Wort »Sklavenmoral« in den Mund nehmen.)

167 oben: Die Frage, ob wir die Wirklichkeit nur in unserem Kopf erschaffen, oder ob sie draußen existiert, ist nun wirklich eine Frage, die primär Don Quijote beantworten sollte.

169: Beim Thema Schwarmintelligenz und Massenwahn scheint mir einiges durcheinander zu gehen. Die historische Erfahrung zeigt in der Tat, dass Widerstandskämpfe gegen Diktaturen nur dann Erfolg versprechend sind, wenn sie sich auf Meinungen stützen, die zumindest insgeheim relativ weit verbreitet sind. Der Massenwahn in Diktaturen hat mit demokratischen Abstimmungen überhaupt nichts zu tun. Es ist eher genau das Gegenteil davon – schließlich sind Diktaturen das Gegenteil von Demokratie. Es schimmert hier ein prinzipielles Misstrauen gegen die Demokratie durch, das der Philosoph mit dem Physiker zu teilen scheint. Die Konsenstheorie der Wahrheit nach Habermas setzt den offenen und freien Diskurs voraus, ist also mit diktatorischen Verhältnissen überhaupt nicht vereinbar. Es ist insofern tatsächlich keine Sache der demokratischen Abstimmung, weil ein Konsens erst dann vorliegt, wenn eine Meinung nach offener und kontroverser Debatte von einer sehr großen Mehrheit der Menschen geteilt wird. 

171: Sancho doziert: »Wer seine Gewissheiten für wahr hält, ist intolerant. Dogmatismus… ist die Gewissheit, besser zu wissen als alle anderen, was richtig und was falsch ist.« Und was ist jetzt mit dem Archimedes-Prinzip, das dafür sorgt, das Schiffe schwimmen; dem Bernoulli-Effekt, der dafür sorgt, dass Flugzeuge fliegen usw. – lauter Gewissheiten, die Sancho auf Seite 158 aufgeführt hat und offensichtlich für wahr hält? Ist er also intolerant? Nein, sondern das bedeutet: So kann der Satz nicht stehen bleiben. Auch die Dogmatismus-Definition erscheint mir zweifelhaft. Ein Dogma ist eine Meinung, die nicht der Kritik ausgesetzt wird; die sich dem offenen Meinungsstreit entzieht. Eine Gewissheit dagegen ist eine Meinung, die sich bereits in zahlreichen Debatten bewährt hat. In diesem Sinne kann ein Dogma gar keine Gewissheit sein. Eine Wahrheit wäre schließlich nach der Konsenstheorie (die in ähnlicher Form ja schon von Aristoteles vertreten wurde) eine Gewissheit, die von einer sehr großen Mehrheit derjenigen, die sich mit der Frage diskursiv beschäftigt haben, geteilt wird.

172: Insofern stimme ich Don Quijote und Sokrates zu: »Meine Gewissheit ist ein Indiz für die Wahrheit, aber kein Beweis.«

174: Wenn wir Informationen in eine Stoffwechsel-Metapher einbauen, dann entspricht das durch Verwertung von Informationen entstandene Wissen nicht den Exkrementen, sondern zum Beispiel den Muskelbewegungen; denn das ist, was der Körper aus der Verwertung von Nährstoffen zieht.






Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
Oktober 2012
 

Freitag, 26. Juli 2013

Meditation ist Philosophie

Wenn man (= ich) sich mit Philosophie beschäftigt (z. B. in "Philosophie und Wissenschaft" oder "Denken..."), dann stößt man im Rahmen der Kognitionswissenschaft unweigerlich auf das Thema "Meditation". Das hat mit Bewusstsein zu tun, mit der Frage: "Wie ist es, wie fühlt es sich an, ich zu sein? Wie erfahre ich »die Welt da draußen« in mir?"


© Illustration: Joanna Hegemann

Das Streben nach Erkenntnis, aber nicht durch Reflexion und Denken, sondern durch Innenschau und Selbsterfahrung. Als Skeptiker fernab von "Jahrtausende alten fernöstlichen Weisheiten" fasziniert mich das Buch von Ulrich Ott mit dem Titel "Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst".

Die Frage

Auf seiner Website stellte ich ihm folgende Frage:

Ist die von "allen erfahrenen Meditierenden" berichtete Wirkung (z.B. "Einssein" mit Allem) nicht eine Art "selbsterfüllende Prophezeiung", da ihnen ja genau diese Wirkung im Rahmen ihrer Ausbildung vorausgesagt wurde? Gibt es Leute, die in die Meditation ohne jede Zielvorstellung eingeführt wurden ("beobachte doch mal deinen Atem und schaue, was passiert")?

Hier seine Antwort:

Einige positive Wirkungen der Meditation werden sicherlich durch
Wunschdenken und Autosuggestion gefördert (Placebo-Effekt). Bei den
Erfahrungen von Einheit spielen diese Mechanismen aber wahrscheinlich
keine große Rolle - ganz im Gegenteil scheinen alle Erwartungen und
Zielvorstellungen eher zu verhindern, dass solche Erfahrungen eintreten,
weil es ja gerade darum geht, das Ich mit seinen Erwartungen
vorübergehend zu suspendieren. Daher treten diese Erfahrungen eher dann
auf, wenn der Betreffende nicht damit rechnet bzw. die Hoffnung
aufgegeben hat.


Im Bereich Entspannung und Stressbewältigung wird Meditation in der
Regel ohne Hinweis auf mystische Erfahrungen vermittelt. Es wäre
interessant zu wissen, ob und ggf. wie oft diese dann eventuell dennoch
eintreten. Die Übungsdauer ist dort allerdings kurz, und daher werden
vermutlich nur Personen mit einer entsprechenden Neigung zur Versenkung
(Absorptionsfähigkeit) solche Erfahrungen machen.


Vor allem die Befunde zur Wirkung von psychedelischen Substanzen weisen
darauf hin, dass hier ein neurobiologischer Mechanismus ausgelöst wird,
der die Aufspaltung in Ich und Umwelt aufhebt. Bei den Kontrollpersonen
mit Placebo treten solche Erfahrungen nicht in dieser Intensität auf,
wobei sich sehr suggestible und hysterisch veranlagte Personen eventuell
vielleicht auch so in ihre Wunschvorstellung hineinsteigern könnten,
dass sie sich einbilden, mystische Erfahrungen gemacht zu haben. Solange
wir keine neurologische Signatur genuiner mystischer Erfahrungen
bestimmt haben, bleibt die Unterscheidung sehr schwierig, was echt und
was Einbildung ist.


Dass es sich immer um "selbsterfüllende Prophezeiungen" handelt, halte
ich vor diesem Hintergrund für unwahrscheinlich. Wirklich "naive
Probanden", die noch nie etwas von mystischen Erfahrungen gehört haben,
wird es bei den erfahrenen Meditierenden kaum geben. Und alleine durch
etwas Atemachtsamkeit werden solche Erfahrungen wohl nur in seltenen
Fällen ausgelöst werden können.

Nachtrag:

Wer Freude an Querverlinkungen hat, findet Frage und Antwort hier.

Montag, 22. Juli 2013

bild der wissenschaft empfiehlt "1+1=10"

"bild der wissenschaft", eine der bekanntesten populärwissenschaftlichen Zeitschriften, empfiehlt mein Buch! Hier geht's zum Shop! Unter "> mehr Info" finden Sie eine kurze Hervorhebung der Buchqualitäten, die bdw begeistert haben.




Sonntag, 23. Juni 2013

DQ & SP Detailkritik (7)



Lesen Sie heute – nach einer etwas längeren Pause –, was Jens Jürgen Korff zum sechsten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!





Der Inhalt in Kurzfassung: 



Zum 6. Kapitel: Die Grundsatzfrage: der Streit zwischen Philosophie und Wissenschaft


132: Blöd nur, dass Don als einzige Begründung für seinen Unmut die Berufung auf traditionelle Herrenvorrechte der Philosophie einfällt. Sein Satz gegen Sancho, »Dir mangelt es an Bescheidenheit«, trifft den Nagel auf den Kopf. In der Tat ist das größte Problem der Naturwissenschaft ihr Hang zum Größenwahn. Zugleich ist dies auch das größte Problem der Philosophie. Geistes- und Sozialwissenschaftler treten dagegen in der Regel bescheiden auf. Was einer der Gründe dafür sein könnte, dass ihre Existenz zuweilen geleugnet wird…


133: »Alles ist Energie« – ein sinnentleerter Satz, sagt Sancho, von Leuten, die den Begriff nicht einmal definieren können – der aber, sage ich, dennoch in eine interessante Denk­richtung weist!


Sancho quengelt: Wir lassen uns nicht länger als »seelenlose Wissenschaft« in den Dreck ziehen. Schön, wenn er mal seine Subjektivität zeigt! Ich gebe ihm recht. Viele Wissen­schaftler arbeiten mit ihrer ganzen Seele und geben ihr Herzblut für ihre Tätigkeit. Wissenschaftler sind Menschen – und als solche haben sie leider auch die Atombombe erfunden, Nervengase, die rassistische Schädelvermessung und die Eugenik. Sancho behauptet: »In keinem wissenschaftlichen Dokument wird Hass gepredigt und den Feinden die Vernichtung angedroht.« Da kenne ich Gegenbeispiele: die rassistischen Thesen von Georg Meinders, den Sozialdarwinismus, die Thesen von Cyril Burt und Hans Jürgen Eysenck über angeborene Dummheit, die Forschungen Josef Mengeles über die physische Belastbarkeit von »Untermenschen«. Im Übrigen ist natürlich polemisch, wenn Sancho im Folgenden Philosophie mit Religion gleichsetzt. Auch Philosophie neigt im Allgemeinen nicht dazu, den Hass predigen. (Religion in der Regel auch nicht.)


Haben Philosophen schon mal etwas für die Weiterentwicklung der Menschheit gestiftet? Ja, Bertrand Russell 1963. Dass es insgesamt weniger Philosophen als Naturwissenschaftler sind, könnte damit zusammenhängen, dass es viel weniger Philosophen gibt als Naturwissenschaftler, und dass diese mit höherer Wahr­scheinlichkeit reich werden.


Sancho fragt nach Belegen für Dons Behauptung, dass Wissenschaftler den Anspruch verkündeten, nur sie könnten Aussagen über die Wirklichkeit machen. Diese Belege kann ich beibringen: Sancho Pansa auf Seite 59 oben. Sancho Pansa zitiert Wittgenstein auf Seite 76: »Die Gesamtheit der wahren Sätze ist die gesamte Naturwissenschaft.« Sancho Pansa auf Seite 98: »Versuche, den Kern zu erfassen…«


134: Menuett, Jazz und Blues - sehr schöne Beispiele von Don Quijote! Wenn Sancho doch mal darauf hören würde! Stattdessen versucht er tatsächlich, sich da noch herauszureden (Seite 135). Viel mehr Menschen verstehen die Wahrheit »Krieg« aus einer Betrachtung des Bildes »Guernica« als die Wahrheit über Energie aus einer Betrachtung der Formel E = mc². Aber das sind dann wohl wieder die falschen Menschen, Unbefugte ohne naturwissen­schaftliche Bildung. An dieser Stelle (und in seinen diversen Ausfällen gegen die Demo­kratie) fällt Sancho Pansa seiner Selbstinszenierung als Arbeiter und aktiver Bürger selbst in den Rücken.


136: Magritte hat mit seinem Bild gesagt: Dies ist keine Pfeife, sondern ein Bild (das eine Pfeife darstellt). Ob das Bild eine objektive Wirklichkeit darstellt  – dazu äußert er sich m. W. nicht. Wir sollen als Betrachter begreifen, dass die Pfeife durch die Augen, den Kopf und die Hand des Künstlers hindurchgegangen ist, bevor sie auf der Leinwand erschien. Eschers unmögliche Wasserfälle zeigen zum Beispiel die Wirklichkeit der Idee eines Perpetuum mobile, die im Sinne Meister Eckharts als actualitas (Seite 164) präsent war.


Haben Philosophen die Menschen schon einmal vor der Verzerrung der Werte gewarnt? Aber natürlich! Ich nenne als Beispiele Martin Buber, Rosa Luxemburg und Wladimir Lenin, die vor der Verzerrung der Werte im Ersten Weltkrieg gewarnt haben; Theodor Adorno, Max Horkheimer, Ernst Bloch und Walter Benjamin, die vor der Verzerrung der Werte im Zweiten Weltkrieg gewarnt haben; Günther Anders und Bertrand Russell, die vor der Verzerrung der Werte im Atomkriegszeitalter und im Vietnamkrieg gewarnt haben. Viele dieser Interventionen  –die von Naturwissenschaftlern, die von Philo­sophen und anderen – haben sehr wohl etwas genutzt. Ein Atomkrieg zum Beispiel wurde verhindert.
Sanchos Rechtfertigung der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki ist eine Geschichts­klitterung. Es ist erwiesen, dass Japan auch ohne die Atombomben kurz vor der Kapitulation stand. Die Bomben dienten der amerikanischen Regierung vor allem als Machtdemonstration gegenüber der Sowjetunion.


137: Don Quijotes Hinweis auf die Humanmediziner in den Nazi-Konzentrationslagern verdiente es, ernsthaft diskutiert zu werden. Wir blicken dort nämlich in den Abgrund des Subjekt-Objekt-Grabens, von dem Hans-Peter Dürr spricht: Nur wer sich selbst als Subjekt aus dem Zusammenhang des Lebendigen und der Menschheit komplett hinausdefiniert, ist zu solchen Verbrechen fähig wie Mengele – sagt Dürr, und ich stimme ihm zu. Leider macht Don Quijote in der Debatte den Fehler, danach auch noch die Kettensäge zu erwähnen, und gibt so Sancho Pansa den Ausweg frei, der sich mit einem typischen Spießerschmarren aus der Bredouille rettet.


Guter Hinweis Don Quijotes auf die von kapitalistischen Interessen gesteuerten Wissen­schaftler. Ja, manche Wissenschaftler haben sich im Interesse der Menschheit aufgeopfert. Philosophen aber auch: Sokrates trank den Schierlingsbecher. Miguel de Unamuno trat den spanischen Faschisten im Bürgerkrieg mutig entgegen und fand für ihre Parole »Viva la muerte!« den passenden Begriff »nekrophil«. Erich Fromm griff den Begriff später wieder auf.[1]


138: Sanchos Ausfall gegen die monotheistischen Religionen und speziell gegen die katholische Kirche ist natürlich extrem einseitig und fanatisch. Ihre angeblich inhumanen Dogmen, zum Beispiel die zehn Gebote, spiegeln zum großen Teil ethische Erkenntnisse wider, auf die Menschen in sämtlichen Kulturen und Religionen gekommen sind. Dass man seine Mitmenschen nicht töten oder nicht bestehlen darf, darauf kommen auch vernunft­geleitete Humanisten. Und was die Frauenverachtung in Christentum, Islam und Judentum betrifft: Daran haben sich jahrhundertelang leider auch die meisten Wissen­schaftler orientiert. So haben sie zum Beispiel »bewiesen«, dass Frauen mit ihrer Emotio­nalität und Sexualität für die »Manneszucht« und damit für die Übernahme von Verantwortung in der Gesellschaft ungeeignet seien, oder sie haben »bewiesen«, dass Frauen nicht kreativ sein könnten, weil sie überhaupt keine Sexualität besäßen. Je nach den aktuellen ideologischen Erfordernissen der gerade herrschenden Männer.


139: Eine interessante Auseinandersetzung zwischen SP und DQ um die Frage, wo sich geistige Entitäten befinden. Auch Dinge, die nur als Begriffe oder Bilder in den Köpfen von Menschen existieren, existieren – weil sie das Denken und Handeln von Menschen beeinflussen und zum Beispiel Gestalt in Form von Kunstwerken oder Literatur annehmen. Offenbar ein weiterer Irrtum Wittgensteins, wenn er wirklich die Existenz solcher Dinge bestritten haben sollte.


140: Ach ja, Señor Pansa kann das Gerede von der Bombe nicht mehr hören. Er könnte es leicht abstellen, indem er einmal, ein einziges Mal, diesen schrecklichen Irrweg der Physiker bedauerte. Doch er bleibt unbelehrbar. Der faschistische Physiker Wernher von Braun pflegte alle Fragen nach dem Zweck der von ihm erfundenen Raketen mit dem Satz zu beantworten: »That is not my department. Dafür bin ich nicht zuständig.« Joseph Weizenbaum erlaubte sich deshalb die Frechheit, den Titel von Brauns Autobiografie »I Aimed For the Stars (Ich zielte nach den Sternen)« so fortzusetzen: »but sometimes I hit London (aber zuweilen traf ich London)«.


Dann Sancho wieder: »Wir kümmern uns nur um das, was ist.« Ein weiterer Beleg für Don Quijotes These auf Seite 133. Die Naturwissenschaftler erklären sich für all- und alleinzuständig für die gesamte Wirklichkeit – indem sie einfach alles, was ihnen nicht passt und über das nichts sagen können, aus der »harten Wirklichkeit« hinausdefinieren. Siehe oben Wernher von Braun. Geistes- und Sozialwissenschaftlern würde solcher Unfug niemals einfallen.


141: Dieser Wittgenstein ist mit seiner bornierten Fixierung auf die Naturwissenschaftler ein echtes Schätzchen.


142: Dass die Behauptungen der Philosophen jeder glaubt, ist natürlich barer Unsinn. Das Problem der meisten Philosophen besteht ja gerade darin, dass ihre Thesen – anders als die Thesen von Genetikern oder Hirnforschern – so gut wie niemand glaubt.


143: Hier verbreitet zur Abwechslung Don Quijote einen Irrtum über Geistes- und Kulturwissenschaften. Nein, es trifft nicht zu, dass die Naturwissenschaften Daten und Fakten liefern, die Geisteswissenschaften dagegen Sinn, Bedeutung usw. Beide Wissen­schaftsgattungen liefern Daten und Fakten, und beide Wissenschaftsgattungen liefern auch Sinn, Deutung und Bedeutung. Es ist ein Datum und Faktum, dass deutsche Soldaten am 1. September 1939 Polen überfallen haben, und es ist eine Deutung, dass die Menschen keinen freien Willen hätten, weil ihnen ihre Willensentscheidung immer erst eine halbe Sekunde später bewusst werde.


Sancho fragt keck (mit Einschränkung): Was ist dagegen ein Mozart? So will ich denn versuchen, diese Frage zu beantworten. Anders als die Werke Keplers, Galileis, Brunos, Darwins und Freuds werden die Werke Mozarts jeden Tag von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt genossen. Die Menschen widmen den Werken Mozarts also viel mehr Aufmerksamkeit als den Werken der anderen genannten Genies. Was macht das mit den Menschen, was bewirkt das? Es vergrößert die Lebensfreude dieser Menschen und erfüllt damit einen Maßstab, den Sancho weiter oben selber aufgeführt und für die Wissenschaft in Anspruch genommen hatte. Es lässt Leute gesund werden. Es lässt Leute friedfertig werden. Es bringt die Menschen verschiedener Völker miteinander in Verbindung, genau wie die Wissenschaft oder der Sport. Es hilft den Menschen, sich in einer rasenden und ständig verändernden Umwelt zu entspannen und Ruhe zu bewahren. Es hilft ihnen, nicht verrückt zu werden. Hier nähern wir uns einem generellen Denkfehler Sanchos und vieler Naturwissenschaftler: Sie glauben offenbar, dass nur die Veränderung eines Zustands eine Wirkung darstelle. Deshalb halten sie Künste wie die Musik oder die Literatur für wirkungslos. Es stellt aber eine Wirkung dar, wenn Menschen in Zuständen, die sie eigentlich krank machen müssten, gesund bleiben. Mozart hat mit seiner Musik vielleicht einige der wirkungsmächtigsten Rückkopplungen für die menschliche Gesellschaft geschaffen.


Auf der anderen Seite der Gleichung möchte ich übrigens glatt bezweifeln, dass die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht, den Alltag der Menschen wesentlich beeinflusst. Die Tages- und Jahreszeiten ließen sich auch mit dem alten Weltbild erklären. Ähnliches gilt für die Frage, ob es das Higgs-Boson gibt oder nicht. Was Hawking u.a. großmundig als „Theory of Everything“ verkaufen, kann ich persönlich lesen oder es sein lassen; das wird meinen Alltag nicht verändern. Bei Darwin und Freud sieht die Sache anders aus; deren Ergebnisse spielen heute eine größere Rolle in der alltäglichen Gesellschaft.


Gut beobachtet von beiden, auf welche Widerstände stößt, wer philosophische oder wissenschaftliche Erkenntnisses allgemeinverständlich publizieren möchte. Offenbar leiden beide Disziplinen unter dem gleichen Hochmut, der gleichen Arroganz gegenüber dem angeblich dummen Publikum. In den Gesprächen hier allerdings blieb dieser Part vor allem Sancho vorbehalten.


145: Da kommt schon der nächste Beleg: Beamte und Politiker sind unfähig, meint Sancho. Ich selber habe schon viele Beamte und Politiker persönlich kennen gelernt, und kein einziger davon war unfähig. Es scheint sich hier also um ein dummes Vorurteil, ein klassisches Dogma zu handeln.


147f: Auch die ganze Geschichte mit den Kränkungen der Menschheit erscheint mir als Dogma. Warum sollte es eine Kränkung sein, dass die Erde um die Sonne kreist? Dass die Menschen von Affen abstammen und dass sie in ihrem Handeln nicht immer von der klaren Vernunft geleitet sind? Mich persönlich hat noch keines dieser Erkenntnisse gekränkt. Ich empfinde diese Vielfalt und Komplexität eher als Bereicherung. Wie geht es Ihnen denn damit persönlich, Herr Beetz?


148: Es ist schon erstaunlich, Sancho über die Hybris der Menschen reden zu hören, aber niemals über die Hybris der Naturwissenschaftler und vor allem der Techniker und Techno­kraten. Er erkennt zwar in seinen lichten Momenten an, dass die Naturwissenschaft nicht alles erkennen und nicht alles im Griff haben kann, verweigert sich aber konsequent gegenüber der historischen Erkenntnis, dass viele seiner Kollegen das jahrzehntelang ganz anders gesehen – und in ihrer Verblendung viel Unheil angerichtet haben.


149: Don Quijote zitiert Gerhard Vollmer. Dieser vorauseilende Gehorsam von Philosophen gegenüber Neurobiologen ist höchst ärgerlich und eine der größten Schwächen der aktuellen Philosophie, der leider auch mein Freund Precht erlegen ist.


Sancho: »Wir machen nur unseren Job, und der hat mit Sinn, Wert oder Würde nichts zu tun.« Da spricht er wieder: Wernher von Braun, wie er leibte und lebte. Die Menschen­würde – zu der es übrigens interessante aktuelle Philosophendebatten gibt[2] – haut er gleich ganz weg, weil sie so schwer zu definieren sei. Als ob die Zeit, die Gravitation oder das Licht leichter zu definieren wären (siehe Seite 151)!


Hier also meine Definition der Menschenwürde: Indem wir allen Menschen eine Würde zusprechen, würdigen wir die Fähigkeit eines jeden Menschen, seinen Mitmenschen Gutes zu tun. Weil er diese Fähigkeit hat, ist es falsch, einen Menschen zu töten oder so zu quälen, dass er nichts Gutes mehr tun kann. Geht doch! Zwei Sätze reichen.


»Wissenschaft eröffnet den Blick auf neue Schönheiten, auf die Wunder des Lebens…« Schön gesagt von Sancho!


152: Gut gesehen von Don: In den Begriffen »Weltformel« und »Theorie von allem« steckt eben doch die Hybris der Physiker.


Gute Frage von Don Quijote, ob anständige Wissenschaftler bestimmte gefährliche Fragen einfach nicht erforschen sollten. Zum Beispiel künstliche Viren oder Bakterien, gegen die es keinen Schutz mehr gibt, oder intelligente und bewaffnete Roboter, die die Weltherrschaft erringen könnten. Genau das ist das größte Zukunftsproblem der Naturwissenschaft und Technik – und es ist hausgemacht! Es ist nirgendwo anders entstanden als im Bereich der Naturwissenschaft und der Technik, im Department Braun.


153: Die Guillotine allerdings hatte tatsächlich zwei Seiten und wäre insofern ein gutes Beispiel für Wernher von Brauns Verteidigungsplädoyer. Ihr Erfinder, der Arzt Guillotin, hielt sich nicht für zuständig für die Frage, ob Menschen hingerichtet werden müssen oder nicht. Ihm ging es einzig und allein darum, die Hinrichtung technisch so zu optimieren, dass die Delinquenten keine Zeit mehr hatten, während ihrer Tötung zu leiden und zu schreien.


Wissenschaftliche Erkenntnisse spielen bei Philosophen kaum eine Rolle, meint Sancho. Eine ziemlich gewagte Behauptung! In Prechts Buch »Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?« wimmelt es zum Beispiel von neurobiologischen und psychologischen Erkennt­nissen. Precht bezieht fast alle philosophischen Fragen, die er dort diskutiert, auf solche Erkenntnisse. Und auch er lässt leider geistes- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse als Quellen philosophischer Fragen weitgehend aus.

Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
September 2012


[1]     E. Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Reinbek 1977 (Rowohlt), S. 372
[2]     Der Wert der Menschenwürde. Hg. v. Christian Thies, Paderborn 2009 (Schöningh)
 




Freitag, 5. April 2013

Lesungen "1+1=10: Mathematik für Höhlenmenschen"



Der Autor Jürgen Beetz liest aus seinem Buch „1+1=10:Mathematik für Höhlenmenschen“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Erlebnis Wissenschaft“ in zwei Filialen der Verlagsgruppe „Lehmanns media“ die amüsantesten und garantiert formelfreien Geschichten vor.



Mehr als die einfache Logik eines Frühmenschen braucht man nicht, um die Grundzüge der Mathematik zu verstehen. Deswegen kann der Autor bei seinem Unternehmen, die Mathematik „begreiflich“ zu machen, in die Steinzeit zurückgehen – genauer gesagt: etwa in die Jungsteinzeit, 10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Gemeinsam mit dem Denker und Mathematiker Eddi Einstein, dem Geometer und Erfinder Rudi Radlos, dem Druiden und Seher Siggi Spökenkieker und der Weisen Frau und Hexe Wilhemine Wicca treffen wir viele einfache, fast gefühlsmäßig zu erfassende mathematische Prinzipien des täglichen Lebens an.


Termine:


  • Montag, 29. April 2013 20.30 Uhr: 30159 Hannover, Georgstraße 10
  • Samstag, 4. Mai  2013 16.00 Uhr: 10623 Berlin, Hardenbergstraße 5 (am „Wissenschaftlichen Erlebnistag für Jung und Alt“)

Näheres siehe hier.

Nachtrag:  

Eine Buchbesprechung ist in Norman Etmanskis Matheblog erschienen. Danke!



 




Sonntag, 31. März 2013

DQ & SP Detailkritik (6)



Lesen Sie heute, was Jens Jürgen Korff zum fünften Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!




Der Inhalt in Kurzfassung: 

JJK's Kommentare:


Zum 5. Kapitel: Die seltsamen Schleifen des Seins

116: Die seltsamen Schleifen im modernen politischen Leben: Die Rolle der Medien geht dabei weit über die eines Vermittlers hinaus. Die Medien verfolgen eigene Interessen – und sei es nur das Interesse, mit dramatisierten Meldungen den eigenen Absatz anzukurbeln. Die Journalisten haben diese Rolle, die sie im Auftrag ihrer Verleger spielen, vollkommen verinnerlicht. Und so beeinflussen die Medien Politiker und Bürger gleichermaßen in ihrem Sinne.
117: Der Vergleich mit dem Möbiusband gefällt mir sehr gut! Allerdings hätte eigentlich DQ darauf kommen müssen, schließlich ist er in dem Gespann für Kunst zuständig. Schon alleine, weil Künstler eine ähnlich brotlose Existenz fristen wie Philosophen. Das ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie „nutzlose“ und „wirkungslose“ Kunst den Erkenntnis­fortschritt der Menschheit voranbringen kann.
Auch schön: die Anweisung der Eltern und das Spiel von Depressionen und fehlendem Sinn im Leben.
Die Frage, ob das Ei oder die Henne zuerst da war, ist meines Wissens geklärt, seit wir von der Evolution der Arten wissen: Da sich die Vögel aus den Reptilien entwickelt haben, muss das erste Vogelei von einem Reptil gelegt worden seien. Es war also eindeutig das Ei, jedenfalls das Vogelei, zuerst da. Die entscheidende Mutation zum Vogel fand während der Bildung des Eies statt.
118: Sanchos Satz »Je reicher wir werden, desto ärmer werden wir« und das weiter unten erwähnte Barbier-Paradoxon haben, wie mir scheint, etwas Wichtiges gemeinsam: Es sind beides Sprachspiele. Die Paradoxa kommen erst durch den fragwürdigen Sprachgebrauch in den Sätzen zu Stande. Im Satz über Reichtum und Armut ist das Wort »Wir« irreführend. In Ausbeutungsgesellschaften ist es zum Beispiel ganz normal und folgerichtig, dass die Reichen immer reicher und die Armen zugleich immer ärmer werden, eben durch die Ausbeutung. Das gilt aber letztlich auch, etwas abgeschwächt, für Gesellschaften wie unsere, in denen die Reichen viel schneller reicher werden als die Armen wohlhabender. Paradox wird es erst, wenn man Reiche und Arme zu einem falschen Wir-Kollektiv zusammenfasst.
Nun will ich Kurt Gödel ja nicht zu nahe treten, aber in seinem Barbier-Paradox scheint mir ein ähnliches Sprachprobleme vorzuliegen. In der Praxis rasiert der Barbier sich selbst und alle diejenigen, die sich nicht selbst rasieren. In dieser Form dürfte das System weder widersprüchlich noch unvollständig sein.
119: Komplexe Themen weisen Selbstorganisation und Komplexität auf, die mit linearen Wirkungsketten nicht zu erklären sind. Den Satz werde ich mir hoffentlich merken.
Im Folgenden beginnt ein merkwürdiger Rollentausch, der auf Seite 121 auch Sancho auffällt: Don Quijote übernimmt die Rolle eines wild gewordenen Wissenschaftlers, der sich einbildet, alle Ereignisse berechnen zu können. Das ist doch gerade der Irrtum vieler Wissenschaftler gewesen, oder zumindest doch vieler Wissenschaftsgläubiger. Was hat diese Vorstellung im Kopf eines skeptischen Philosophen zu suchen?
120: SP ahnt die Komplexität des Menschen und sagt ganz nebenbei, unser Immunsystem sei noch weitgehend unerforscht. Hoppla, das wirft doch allerlei Fragen auf! Könnte es sein, dass das der Grund dafür ist, dass die Wirkung homöopathischer Arzneimittel auf unser Immunsystem bis heute noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist? Um sie nachweisen zu können, müsste man halt etwas mehr von unserem Immunsystem verstehen.
Wie kommt es, dass ausgerechnet das Immunsystem, also etwas, das wirklich über Leben und Tod entscheidet, so schlecht erforscht ist? Könnte das damit zusammen­hängen, dass die Mediziner jahrzehntelang versucht haben, das Immunsystem durch Arzneimittel zu ersetzen? Und dass sie das Eigenleben des Immunsystems dabei eher gestört hat?
Ist das nicht ein weiterer Fall von Wissenschaftlern, die, fixiert auf einfache Ursache-Wirkungs-Ketten, die sie am liebsten wie Werkzeuge bedienen möchten, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? Abgesehen von den wirtschaftlichen Interessen der Pharma-Unternehmen, die dahinter stecken mögen. Wer mit der Heilung von Krankheiten Geld verdient, kann kein Interesse daran haben, dass die Menschen von alleine gesund werden.
»Das zentrale Problem der Komplexität ist nicht die schiere Menge der System­komponenten, sondern sind die verdeckten Rückkopplungen, die verborgenen Strukturen und Beziehungen.« Gut gesagt!
122: SP fragt ganz zu recht: Warum gibt es keine Evolutionsphilosophie? Er mahnt zu recht den Beitrag der Philosophie zur Komplexitätsforschung an. DQ antwortet leider nicht. Hier wäre ja zu untersuchen, inwiefern die Philosophie der Plurale (die so genannte post­moderne Philosophie: Foucault, Derrida, Lyotard, Barthes u.a., aber auch Luhmann) genau das ist. Leider ist sie ähnlich schwer verständlich wie die Quantenphysik.
125: Ach, da kommt er ja: Niklas Luhmann. SP verscheucht ihn aber gleich wieder, indem er ihn und seine Themen dem »Uferlosen« zurechnet.
DQ stellt am Ende dieses Dialogs fest: »Kausalität und Komplexität - Ursache und Wirkung bedingen sich nicht zwangsläufig.« Hier sagt er (was er Autor sicher weiß) das Gegenteil von dem, was er auf Seite 114 gesagt hat, dort als Fazit zum Kapitel Ursache und Wirkung. DQ könnte doch durchaus die Weiterentwicklung seines eigenen Standpunktes selbst zur Kenntnis nehmen. Einmal mehr ist er hier dümmer, als die Polizei erlaubt.
129: Jaja, die Kausalkettenneurose, die unser Denken beherrscht und unsere Inter­pretation der Wirklichkeit häufig verzerrt. Sie beherrscht aber auch das Denken vieler Wissenschaftler!
130: »Wir leihen Staaten Geld, damit sie Waffen bei uns kaufen können, damit wir Geld zum Verleihen bekommen.« Hier stiftet wiederum der falsche Gebrauch des Wortes »Wir« Verwirrung. Der Sinn wird schnell verständlich, wenn man es ersetzt: Deutsche Banken leihen anderen Staaten Geld, damit sie Waffen bei deutschen Rüstungskonzernen kaufen können, damit diese ihre Profite bei deutschen Banken abliefern können. Wo ist das Verständnisproblem?
Don Quichotes Interpretation »Ich denke, also werde ich« könnte geistreicher und weiser sein, als dem Autor bewusst ist. Dass Sancho Pansa sich am Ende dieses Artikels wiederum zum Lehrer aufschwingt und seinen Herrn Don Quijote zum Schüler degradiert, stellt eine fragwürdige Wendung des Gespräches dar. Immerhin passt es als Überleitung zum großen Streit, der im nächsten Kapitel ausbricht. Don Quichote hat endlich gemerkt, dass in den Gesprächen etwas permanent schief läuft.

Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
September 2012

 

 


Mittwoch, 20. März 2013

DQ & SP Detailkritik (5)



Lesen Sie heute, was Jens Jürgen Korff zum vierten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!



Der Inhalt in Kurzfassung: 


JJK's Kommentare:


Zum 4. Kapitel: Ursache und Wirkung

110: Zufall ist ein Ereignis, also eine Wirkung, deren Ursache wir nicht kennen. Gute Definition!
112: Sancho kommt auf die Eigenart der Menschen zu sprechen, an Vorbedingungen zu glauben, an vorgegebene Schicksale und dergleichen. Hier zeigt sich doch meines Erachtens, dass wir mit unserer Kausalkettenneurose (so Sancho, Seite 129) dazu neigen, die Wirklichkeit verzerrt wahrzunehmen. Wäre es nicht an der Zeit, dass Don Quijote als Philosoph einmal die Frage aufwirft , ob nicht auch die Wissenschaft mit ihrer Fixierung auf Kausalketten häufiger, als es sein müsste, den falschen Dampfer besteigt? Aber dazu müsste er sich ein wenig mehr von seinem Diener emanzipieren.
112: Ein Lektoratsproblem: In der Mitte der Seite fragt SP: Wir fragen: »Wie lässt sich der Zufall quantitativ erfassen?« Hinter solchen Sätzen kommt kein Punkt. Der Satz ist mit dem Fragezeichen und der Ausführung abgeschlossen. Der Vorsatz endet bereits mit dem Doppelpunkt.
113: Über die Frage »Determinismus oder Zufall in der Welt« und darüber, wie unser Gehirn damit umgeht, hätte ich auch an dieser Stelle gerne noch etwas mehr gelesen.
Die amerikanische Studie zum Risikopotenzial von Hochrisiko-Systemen steht in einem gewissen Widerspruch zu der Aussage Sanchos auf der Vorseite, ein bedeutsames Risiko, ob Unfall oder Lottogewinn, werde in seiner Eintrittswahrscheinlichkeit meist überschätzt. Das scheint zum Beispiel für Flugzeugabstürze zu gelten, weniger aber für Autounfälle, deren Risiko in meiner bescheidenen persönlichen Stichprobe eher gravierend unterschätzt wird. Bei Atomkraftwerken und Atomwaffen gehen die Risikoeinschätzungen wiederum weit auseinander, je nachdem ob man Gegner oder Befürworter dieser Techniken ist. Ein eindeutiger Bezug zur Bedeutung der Gefahr scheint nicht zu bestehen. So wird zum Beispiel das Risiko, die eigene Tochter könnte von einem unbekannten Sexualstraftäter auf der Straße entführt, missbraucht und ermordet werden, oft gravierend überschätzt, während das Risiko, dass das Mädchen überfahren werden oder gar bei einem Unfall mit dem eigenen Auto der Eltern umkommen könnte, unterschätzt wird. Unterschätzt wird auch meist die viel größere Gefahr, dass die Tochter von Familienmitgliedern, Übungs­leitern, sonstigen Vertrauenspersonen, Nachbarn oder gar vom Vater selbst, der gerade die Risikoabwägung vornimmt, missbraucht werden könnte. Das verallgemeiner­bare Prinzip scheint zu sein, dass Gefahren, die von außen kommen und auf die man überhaupt keinen Einfluss hat, eher überschätzt werden, während Gefahren, die von innen kommen, aus Bereichen, auf die man eigentlich Einfluss hätte, eher unterschätzt werden. So mag es dann auch kommen, dass Atomphysiker und Techniker die Risiken ihrer eigenen Geräte unterschätzen, denn sie glauben, ihre Geräte, ihre eigene Schöpfung, unter Kontrolle zu haben. Stattdessen fürchten sie sich lieber vor muslimischen Terroristen.
114: Warum muss Don Quijote in diesem Gespann eigentlich immer die Rolle des Dummkopfes übernehmen? Sind Philosophen denn dumm?

Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
August 2012