Wenn
wir schon bei etwas „unmathematischen“ Themen sind: Viele Menschen haben
unglaubliche sinnliche oder übersinnliche Fähigkeiten – Raucher erkennen ihre
Lieblingsmarke unter zehn anderen, Weinkenner schmecken den Unterschied
zwischen Merlot und Cabernet Sauvignon. Viele erkennen Bioprodukte
am besseren Geschmack. Andere spüren auch Erdstrahlen oder Wasseradern. Diese
fast mediale Sensibilität hat eine lange Tradition – kein Wunder, dass wir sie
schon in der Steinzeit vorfinden.
Nach
der Erfindung des Geldes hatte der Handel zwischen den Stämmen stark
zugenommen. Immer wieder kamen – neben dem wöchentlichen Service von Bo –
Händler vorbei und priesen ihre einmaligen, nie dagewesenen Produkte an. Siggi
hatte es schon vorausgesehen: ein dürres Männchen mit dicker roter Nase auf
einem überladenen Esel, der rechts und links mit Tonkrügen behängt war. Ein
Vertreter, der gleich zur Sache kam: „Euer Met… Ich will ja nichts sagen…
Vielleicht schmeckt er ja ganz passabel… Meiner aber hat geheimnisvolle Kräfte,
macht euch stark und unverwundbar… Aber was rede ich?!... Ich zeige es Euch,
dann seht ihr es selbst… Holt einen Krug von eurem Gebräu! Dieselbe Form und
Größe des Gefäßes, damit ich sie nicht unterscheiden kann.“
Das
gefiel Rudi gar nicht, der Willas Met nachweislich schätzte. Während der
Händler noch von den magischen Kräften, der Energie und den Schwingungen seines
Produktes erzählte, hatte er schon einen Krug herbeigeschafft. Der Händler
drehte sich um, und auf seine Anweisung vertauschte Rudi die Krüge so lange,
bis er selbst nicht mehr wusste, welcher welcher war. Der Händler zog eine
V-förmige Weidenrute hervor und richtete sie nacheinander auf beide Gefäße. Bei
einem blieb sie ruhig, bei dem anderen schlug sie aus. „Mein Met!“,
triumphierte der Fremde, „Seine Schwingungen sind in Resonanz mit meinen
inneren Harmonien, und das überträgt sich auf die Frequenz der Zauberrute und…“
Er trat zehn Schritte zurück: „… es funktioniert auch noch auf große
Entfernungen. Ich kann es auch auspendeln, wenn ihr einen zweiten Beweis benötigt.“
Rudi trat zu den Krügen, hob die Deckel, schnupperte und tauchte einen Finger
hinein, um zu probieren. „Nein, danke. Die Pendelgesetze kenne ich schon. Aber er
hat Recht!“, gestand er, „Beeindruckend!“
Willa
hatte dem Treiben mit einem leichtem Lächeln, das Eddi ganz begeisterte,
zugesehen und gab jetzt ihre Meinung kund: „Über Geschmack kann man ja streiten…
Aber wenn du schon hexen willst, dann bitte richtig!“ Der Händler war nicht
beleidigt (schließlich wollte er ja seinen Met verkaufen) und bot weitere
Versuche an: Man könne die Krüge ja noch einmal vertauschen oder auch öfter… er hätte damit keine Probleme.
Jetzt
griff Eddi vorsichtig ein, denn er wollte seinen Ruf als nüchtern abwägender
Wissenschaftler ja nicht verlieren: „Du bist sicher einverstanden, wenn wir die
Tests einmal systematisch betreiben und statistisch auswerten“. Der Händler,
der diese Wörter nicht kannte, nickte und Eddi fuhr fort: „Wir machen einen
Doppelblindversuch – weder du noch ich wissen, was in welchem Krug ist. Wir gehen
einmal durch das Dorf und Rudi stellt inzwischen 20 Krüge bereit. Fünf von
ihnen enthalten deinen Met und fünfzehn etwas anderes: Willas Met, Wasser oder
Luft. Jeweils genau fünf von ihnen, bunt gemischt. Rudi wird den von mir
erfundenen Vierflächen-Würfel verwenden, damit er nicht unbewusst ein Muster in
die Folge bringt. Wenn wir zurückkommen, verschwindet Rudi und nur wir beide
sind anwesend… Und keiner von uns kennt die richtigen Krüge.“ „Kein Problem!“,
sagte der Händler und grinste, „Das finde ich sofort! Meine Schwingungen
erfassen mehr als vier unterschiedliche Harmonien. Ich sage euch sogar für alle Krüge genau, was darin ist. Wasser…
dass ich nicht lache! Luft… ein Schreier! Über Frau Wiccas Met will ich mich
gar nicht äußern.“
Hier
können wir die Szene verlassen und uns der mathematischen Seite der Aufgabe
widmen. Denn der Händler kämpft, ohne es zu wissen, mit dem Zufall – und den
haben wir rechnerisch im Griff. Wenn er beim ersten Krug seinen Met unter vier
Möglichkeiten findet, hatte er eine Chance von 1 : 4, einfach nur richtig
geraten zu haben. Ist im zweiten Krug Wasser und die Rute sagt es ihm auch korrekt,
dann war seine Chance ¼ × ¼ = 1/16. So geht es weiter
– 20 richtige Ergebnisse durch Raten zu erhalten hat eine Wahrscheinlichkeit von
1 : 420 oder 1 : 1012. Wenn er die schafft, dann
sind seine paranormalen Fähigkeiten über jeden Zweifel erhaben. Was aber ist
bei 17 Treffern oder 12 oder 5? Ab wann zucken wir die Schultern und sagen: „Na
ja, das ist aber mehr als Zufall!“?
Natürlich
folgt auch hier wieder auf eine flotte Geschichte ernsthafte Mathematik:
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