Lesen Sie heute, was Jens Jürgen Korff zum zweiten Kapitel des „Don Quijote & Sancho Pansa“ im Einzelnen zu sagen hat!
Der Inhalt in Kurzfassung:
JJK's Kommentare:
Zum 2. Kapitel: Die gemeinsame Basis – die Logik
64:
DQ fragt: Warum gibt es nicht nichts? Wieso gibt es Gravitation? Woher kommen
die Gesetze der Natur? – Mich interessiert eigentlich mehr: Woher kommt die
Gewalt? Warum gibt es Musik?
SP: »Natur und Logik sind eins, irgendwie.« – Das erscheint
mir anders. Die Natur enthält eine Menge Zufall, und Zufall entzieht sich der
Logik. Ein wesentlicher Bestandteil der Natur kommt in der Logik also nicht
vor.
DQ stellt dann die wichtige Frage: Folgen die Naturgesetze
den vorgegebenen Gesetzen der Logik oder ist es umgekehrt: haben wir die Logik
durch Beobachtung der Naturgesetze gebildet? Kopiert unsere Logik also etwas,
das wir in der Natur beobachtet haben? Diese Frage bleibt am Ende m. E.
unbeantwortet. Sanchos Beispiel mit dem Ziegelstein auf den schrägen Brett
überzeugt mich nicht.
65:
Zum Ziegelstein: Ich vermute, dass
es in der Natur genauso widersprüchlich ist wie hier beschrieben: der Stein
ruckt beim Runterrutschen. Er reißt sich immer wieder los und kommt dann wieder
kurz zum Halt. Wenn wir das als unlogisch empfinden, zeigt das Beispiel eher,
dass unsere logischen Sätze die Natur offenbar nur unvollkommen abbilden.
65f: Auch Sanchos
Beispiel mit der Soziologiestudentin
Linda überzeugt mich nicht. Die Rechnung mit den Wahrscheinlichkeiten würde
nur dann stimmen, wenn die beiden Wahrscheinlichkeiten unabhängig voneinander
wären (wie Sancho richtig bemerkt). Sind sie aber nicht! Es kann tatsächlich
sein, dass sie in der Umweltgruppe aktiv wird, weil sie den Bankjob angenommen hatte; damit ihre
umweltsoziologischen Fähigkeiten nicht völlig verkümmern und weiterhin ihren
Sinn haben, und weil sie wegen ihrer Banktätigkeiten ein schlechtes Gewissen
gegenüber der Umwelt hat. Übrigens ist die Fragestellung an sich schon
unseriös, da eine Alternative aufgestellt wird, die gar keine ist. Die erste
Möglichkeit schließt die zweite mit ein. Eine Alternative wäre es nur dann, wenn
mit Punkt 1 die Bedingung verknüpft ist, dass Linda nicht in einer Umweltorganisation aktiv wird. Dann sind aber beide
Möglichkeiten durch jeweils eine Zusatzbedingung eingeschränkt. Der Autor hat
hier seinen Lesern m. E. eine logische Falle gestellt.
Nebenbei zeigt das Beispiel noch etwas ganz anderes: nämlich
wie stark die Entwicklung der Wissenschaften durch herrschende soziale
Verhältnisse beeinträchtigt oder beeinflusst wird. Weil die herrschenden
Konzerne für Umweltsoziologie kein Geld ausgeben, bleiben die von der
Soziologiestudentin aufgeworfenen Forschungsprobleme unerforscht. Stattdessen
wird ihr kreatives Potenzial von einer Tätigkeit in Anspruch genommen, die
wahrscheinlich nur einer Handvoll Aktionären nützlich ist. Das hätte Don
Quijote an dieser Stelle auffallen können.
69:
Der Wunderheiler schwenkt sicher
kein Federbüschel, sondern ein Pendel ;-). Vollmond kann durchaus eine Zunahme
der Geburtenrate bewirken – allerdings mit neun Monaten Verzögerung ;-) –
Sanchos Erklärung des Placeboeffekts ist, wie nicht anders zu erwarten,
einseitig und unvollständig. Es kann zum Beispiel sein, dass der Wunderheiler
mit seinem Pendel den Patienten auf positive Gedanken bringt; er bringt ihn
dazu, nicht mehr zu denken: „ich bin krank“, sondern zu denken: „ich werde
gesund“. Dieses Umdenken stärkt sein Immunsystem und führt dann tatsächlich zur
Heilung. Der Wunderheiler spielt also gewissermaßen über Bande. Und damit gibt
es eben doch einen plausiblen Zusammenhang.
SP sagt: die Wissenschaft fragt meist nach dem „wie viel
oder ähnlichem“. Das gilt wohl nur für Physik, Chemie und Teile der Soziologie.
Die übrigen Wissenschaften fragen durchaus häufig nach dem „warum“. Etwa: Warum
ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen? Warum sehen die Galapagos-Finken anders aus
als die peruanischen Finken?
71:
DQ: »Manche Armutsprediger leben in
Saus und Braus.« Ich würde sogar sagen: Alle Politiker und Verbandsfunktionäre,
die mit dem Satz an die Öffentlichkeit treten »wir müssen den Gürtel enger
schnallen« leben in Saus und Braus – sie haben jedenfalls überdurchschnittlich
hohe Einkommen.
SP bringt ein paar umstrittene Beispiele. Um das Prinzip, um
das es ihm geht, in den Vordergrund zu rücken, hätte er wohl besser zu
harmloseren Beispielen gegriffen. Ich gehe also auf die Streitthemen ein:
»Wenn die
Wissenschaft zweifelsfrei erkannt hat, dass es keinen freien Willen gibt…« Hat
sie aber nicht! Es gibt nur einzelne Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse so
interpretieren. Allerdings hat die Wissenschaft weit gehend zweifelsfrei
erkannt, dass der moderne Kapitalismus die gesellschaftliche Ungleichheit
extrem verstärkt und viele Menschen krank werden lässt. Das ist der Grund, aus dem wir unser Gesellschaftssystem umbauen
müssen.
Die Homöopathie arbeitet anders als Wunderheiler mit
chemisch wirksamen Substanzen (die in der Regel nicht auf Null verdünnt sind), und für deren Wirkung gibt es
durchaus einen plausiblen Wirkungszusammenhang: Stichwort Impfung.
DQ sagt, die Menschen meinten mit ihrer Floskel »man müsste
eigentlich« immer die anderen. Das halte ich für unwahrscheinlich. Wenn man den
Sprachgebrauch der Menschen genauer untersucht, stellt man fest, dass viele
Menschen (vor allem Männer) »man« sagen, wenn sie »ich« meinen. Deshalb ist es
wahrscheinlicher, dass viele mit diesem Spruch tatsächlich sich selbst meinen.
SP: »… vor allem unsere
Gefühle steuern uns in wilde Richtungen« – ach Sancho! Das kann doch
genauso gut unser Verstand sein! Der kann nämlich ganz übel irren. Deine Klage
über die fehlende Konsequenz bringt
es an den Tag. Denn der Volksmund sagt ja auch: »Wer A sagt, muss auch B
sagen.« Der kluge Bertolt Brecht widersprach: »Wer A sagt, muss nicht B sagen.
Er kann auch erkennen, dass A falsch gewesen ist.« Konsequenz ist also
keineswegs immer klug. Das ist überhaupt nicht trivial; Millionen von Menschen
mussten sterben, weil Feldherren nicht in der Lage waren, ihre schrecklich
falsche Entscheidung für einen Feldzug rechtzeitig zu revidieren. Nur weil sie
konsequent bleiben wollten, schickten sie ihre Leute in den Tod. Das hatte zwar
auch mit Gefühlen zu tun, zum Beispiel dem Gefühl, der alten Entscheidung, dem
König oder dem Vaterlande treu bleiben zu müssen – aber es hatte auch viel mit
Verstand zu tun: Mit ihrem Verstand sahen die Feldherren, dass sie sich
angreifbar machen und ihre Untertanen zur Revolte einladen würden, wenn sie
ihre katastrophalen Fehler zugäben.
72: Sanchos arrogante Attacke auf die Philosophen wegen
ihrer falschen Analogieschlüsse
erscheint mir recht verworren. Als Beispiel nennt er den Vergleich des Menschen
mit einem Uhrwerk, den Descartes und Newton vorgenommen haben, also ein Mathematiker-Philosoph
und ein Physiker. Und sagt dann auch, diese Analogie hätte zu vielen
wissenschaftlichen Erkenntnissen beigetragen. Also was denn nun? Sind es Philosophen
oder Physiker, die zu falschen Analogieschlüssen neigen? Offenbar doch beide.
Daran sollte man immer denken, wenn Physiker vom »Urknall«, Soziobiologen vom
»egoistischen Gen«, Verhaltensforscher vom »vorprogrammierten Menschen« oder
Neurologen davon sprechen, dass wir »Sklaven« biochemischer Vorgänge in unserem
Gehirn seien. Alles das sind (vermutlich falsche) Analogieschlüsse. Und all
diesen Analogieschlüssen ist gemein, dass die Wissenschaftler künstlerische und
gesellschaftliche Phänomene (Knall, Egoismus, Programmieren, Sklaverei) auf die
von ihnen beobachtete Natur übertragen. Deshalb kann es sehr nützlich sein,
wenn Sozial- und Literaturwissenschaftler die Metaphernbildungen von Natur- und
anderen Wissenschaftlern kritisch unter die Lupe nehmen.
76:
Wittgenstein hat also tatsächlich
gesagt: »die Gesamtheit der wahren Sätze ist die gesamte Naturwissenschaft… die
Philosophie ist keine der Naturwissenschaften.« Da kommt’s raus! Er hat die Sozial-
und Geisteswissenschaften komplett ignoriert. Kein Wunder also, dass seine
ganze Sprachkritik der real existierenden Sprache und Kommunikation der
Menschen überhaupt nicht gerecht wird.[1]
Und kein Wunder, dass Techniker und Physiker, sobald sich mit Sprache beschäftigen,
immer zuerst auf den Banausen Wittgenstein stoßen. – Richtig, die Philosophie
steht nicht neben den Naturwissenschaften. Sie ist, genau wie die Mathematik,
eine Metawissenschaft. Aber dennoch gibt es etwas, das neben den
Naturwissenschaften steht: nämlich die Sozial- und Geisteswissenschaften.
Der berühmte Wittgenstein-Spruch: Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden.
Alles, was ich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.
Wenn Sie mich fragen: ein pubertärphilosophischer
Standpunkt, von linguistischen Erkenntnissen weit gehend ungetrübt! Sprache ist
notwendigerweise vieldeutig, weil sie von den Eltern an die Kinder
weitergegeben wird. Da die Eltern unterschiedliche Wortschätze haben, lernen
auch die Kinder unterschiedliche Wortschätze. Der eine kennt also ein
spezielles Wort für einen bestimmten Sachverhalt, der andere kennt es nicht und
umschreibt deshalb den Sachverhalt, wenn er ihm begegnet, mit anderen Worten.
Und schon ist das für Logikfanatiker ärgerliche Phänomen in der Welt, dass
unterschiedliche Worte gleiche Sachverhalte und gleiche Worte unterschiedliche
Sachverhalte bezeichnen. Wäre es anders, gäbe es wahrscheinlich keine Liebe,
keine Freundschaft und mit Sicherheit keine Literatur. À propos Literatur:
George Orwell hat in seinem Roman »1984« Wittgensteins schwarze Utopie einer
Sprache, die unter dem Diktat der Logik steht, ausformuliert. Sie heißt dort
»Neusprache« und dient einem Diktator dazu, seinen Untertanen schon das Denken
kritischer Gedanken unmöglich zu machen.
77f: Wittgenstein
sagt: »Darum kann es in der Logik auch nie Überraschungen geben. Die Logik… ist
ein Spiegelbild der Welt.« Hoppla! Ist das nicht ein Widerspruch? Da es in der
Welt (zumindest im Leben) durchaus Überraschungen gibt, muss dann nicht auch das
Spiegelbild der Welt Überraschungen aufweisen? Hier bestätigt Wittgenstein
ungewollt meine Vermutung von oben, dass die Logik die Welt eben nur sehr
unvollständig abbildet, nämlich zum Beispiel ohne Zufälle.
78f:
Ockhams Rasiermesser ist ein
segensreiches Instrument und enorm hilfreich dabei, sich in der Welt zu
orientieren. Eines meiner Lieblingswerkzeuge! Gerade streite ich mich zum
Beispiel mit Leuten, die krampfhaft zu beweisen versuchen, dass Uwe Barschel
1987 ermordet wurde. Ockhams Rasiermesser macht da klar Schiff: Die Mordtheorie
wirft 1000 neue Fragen auf, während die Selbstmordversion, für die es
mindestens vier handfeste Gründe gibt, den Fall abschließend klärt. Aber genau
das scheint das Problem zu sein: Viele Menschen wollen gar nicht, dass solche
Fragen abschließend geklärt werden. Sie wollen lieber, dass sie auf ewig in der
Schwebe bleiben.
79:
SP: »99 Prozent seines (des Affen) Erbgutes sind mit deinem identisch. Hat er deswegen
auch Gefühle und Träume?« – Was ist
das denn für eine Schote? Das ist doch schon längst geklärt (Beispiel hier). Natürlich haben
Affen Gefühle und Träume. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Es ist sogar
wissenschaftlich erwiesen (durch Tierversuche), dass Katzen Träume haben, und
dass sie vom Jagen träumen. Jeder, der seine Katze aufmerksam beobachtet, kann
das selber sehen. Auch die Gefühle meiner Katze kann ich deutlich erkennen. Ich
sehe zum Beispiel, wie sie sich freut, wenn ich nach Hause komme. Bei Hunden
ist das natürlich noch viel deutlicher zu sehen. Es ist mir ein Rätsel, wie man
das noch ernsthaft in Zweifel ziehen kann; wie man die gleichen
Verhaltensweisen, die wir bei Menschen selbstverständlich als Gefühlsäußerungen
deuten, bei Tieren als mechanisch ablaufende Instinkthandlungen deuten kann.
Obwohl doch ebenfalls schon lange wissenschaftlich erwiesen ist, dass Tiere
nicht nur angeborene Instinkthandlungen und Reflexe beherrschen, sondern auch
diverse individuell erlernte Verhaltensweisen, und dass Tiere (sogar Vögel) ein
individuelles Gedächtnis haben. Dazu gibt’s auch ein paar Beispiele bei Precht,
Wer bin ich. – Hier könnte ich mich in Rage reden!
SP meint: »99 Prozent unserer Entscheidungen fällen wir ohne logisches Denken, aus der Intuition
heraus. Entsprechend hoch ist dann aber auch die Fehlerrate.« Das Dürrenmatt-Zitat
dahinter ist zwar witzig, aber Sancho Pansa setzt uns hier gleich zwei
unbewiesene und vermutlich unbeweisbare Behauptungen vor. Ist die Fehlerrate
unserer intuitiven Entscheidungen wirklich höher als die unserer logischen
Entscheidungen? Das wage ich zu bezweifeln. Leider kann man es nicht
feststellen, da die meisten Entscheidungen vermischte Formen aus beidem sein
dürften. Unlogisch und der Evolution widersprechend ist der Gedanke zudem, wie DQ
im nächsten Satz ja auch richtig feststellt: Wenn unsere intuitiven
Entscheidungen so häufig falsch wären, würde es uns nicht mehr geben. Dafür
brauchen wir nicht die Raubtiere in der Steinzeit zu bemühen, dafür reicht auch
eine ganz normale Autofahrt auf spanischen Landstraßen als Versuchsfeld.
80: Nachspiel
zum Sprachspiel. Ah, da haben wir ja doch noch ein bisschen Linguistik! Doch
statt auf Chomsky einzugehen, fällt DQ gleich
wieder auf seinen Wittgenstein zurück, der gar kein Linguist war (er hat m. W.
nicht mit linguistischen Methoden geforscht). Ich glaube nicht, dass sich die beiden
Theorien über den Ursprung der Sprache wirklich widersprechen. Das zeigt sich
sinnigerweise auf Seite 82 bei den von Sancho zitierten Talking Heads: »Er zeigt auf ein Objekt, von dem er sich ein
internes Modell gebildet hat, und benennt es.« Genau an dieser Stelle finden
wir bei den Menschen, als sie die Sprache erfanden, möglicherweise die von
Chomsky erwähnten angeborenen Vorstellungen.
Fortsetzung folgt.
Jens Jürgen Korff
August 2012
August 2012
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen